Dülmen. Seit 2017 sorgen viele kleinere und größere Aktionen der Friedensfreunde Dülmen dafür, dass man sie wahrnimmt. Regelmäßige Mahnwachen vor dem US-Depot, Informationsstände in der Innenstadt, Protestaktionen an der Unterführung am Haverlandweg oder auch Leserbriefe in der Tageszeitung. Die Aktivisten sind präsent. Doch wer sich nicht umfassender mit dem Verein beschäftigt, mag sich schnell die Frage stellen: Was soll das überhaupt?
„Wenn sich jemand diese Frage stellt, haben wir unser erstes Ziel erreicht“, schmunzelt Dr. Michael Stiels-Glenn, der Sprecher des Vereins. „Wir möchten nämlich unter anderem zum Denken anregen – und auf Missstände aufmerksam machen.“
Angefangen hat die Geschichte der Friedensfreunde Dülmen, als die US-Army 2017 begann, in den Tower Barracks ein Waffendepot für eine schwere US-Kampfbrigade zum Einsatz im Baltikum einzurichten. Dr. Michael Stiels-Glenn und seine Frau Dr. Penelope Glenn stellten sich daraufhin eine einfache Frage: „Wollen wir 700 Meter entfernt von schweren Waffen leben?“ Die Antwort für beide war einfach: „Nein.“ Doch es stellte sich eine Folgefrage: „Wollen wir denn 50 Kilometer entfernt von einem Waffendepot leben?“ – und so wurde der Stein ins Rollen gebracht, wie Stiels-Glenn zusammenfasst: „Wir entschieden uns, dass wir überhaupt nichts erreichen, wenn wir nur zuhause sitzen und uns aufregen. Kurze Zeit später gingen wir dann erstmals auf die Straße. Am Ostermontag 2017 zeigten wir beispielsweise mit 60 Friedensaktivisten Flagge vor den Tower Barracks.“
Knapp drei Monate später folgte dann bereits die Vereinsgründung: „Am 14. Juli, zufällig dem Jahrestag des Sturms auf die Bastille, verabschiedeten die Gründungsmitglieder eine Vereinssatzung und wählten einen ersten Vorstand. Damit war der Grundstein gelegt.“ Auch gemeinsame Ziele waren schnell formuliert: „Wir sind nicht mit der Logik einverstanden, dass man mit immer moderneren Waffen Frieden sichern kann. Das Gegenteil ist der Fall! Friedenssicherung geht nur durch Gespräche und Zusammenarbeit der Konfliktparteien. Wir sind nicht gegen etwas, sondern wir kämpfen für eine andere Konfliktkultur, die auf die Aufnahme von Gesprächen ohne Vorbedingungen setzt. Auf gegenseitige Kontrollen von Waffen, Manövern und Rüstungsprojekten – auf Rückzug, so dass waffenfreie Sicherheitszonen entstehen. Auf Verhandlungen für neue Verträge.“
Aber: Was haben diese großen, globalen Themen mit dem kleinen Dülmen zu tun? Was soll es bringen, Woche für Woche vor dem US-Depot zu stehen und „zu nerven“? Hier ist sich Dr. Michael Stiels-Glenn sicher: „Dran bleiben ist wichtig! Klar – unsere Handlungen polarisieren – aber meine Vereinskollegen und ich treten für eine Sache ein, die uns wichtig ist! Viele Menschen stimmen uns zu: Sie wollen Frieden und keinen Krieg. Das sagen ja sogar die Offiziere und Soldaten, mit denen wir uns unterhalten. Genauso sagen die Meisten aber auch: Dagegen kann man nichts tun! Die da oben tun sowieso, was sie wollen! Doch es gibt einige historische Beispiele, bei denen Hartnäckigkeit belohnt wurde. So haben etwa die Atomwaffengegner der ICAN 2017 sogar den Friedensnobelpreis bekommen, weil sie dazu beigetragen haben, dass die UNO 2017 den UN-Vertrag zum Verbot aller Atomwaffen auf den Weg brachte. Friedensinitiativen haben das völkerrechtliche Verbot von Biologischen und Chemischen Massenvernichtungswaffen, für das Verbot von Landminen und Streubomben erreicht. Und ohne den jahrzehntelangen Einsatz von Bürgern würden die deutschen Atomkraftwerke weiter am Netz bleiben.“
Global denken, lokal handeln
Um die Dülmener*innen nicht mit „zu weit entfernten Themen“ abzuschrecken, liegt der Fokus der Friedensfreunde stets auf „global denken, lokal handeln“: „Uns ist es wichtig, dass jedes Thema eine gewisse Relevanz vor Ort hat. Wir wollen nicht, dass Dülmen durch das Waffendepot international bekannt wird, sondern als Stadt des Friedens im Naturpark Westliches Münsterland beliebt ist. Mit Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 19. Oktober 2017 gehört die Stadt Dülmen nun auch zu den ,Mayors for peace‘, Bürgermeister für den Frieden. Wenn die Stadtverordnetenversammlung sich gegen Militarisierung ausspricht, ist das ein weiterer Schritt. Friedenserziehung an den Schulen, Informationen für die Bürger, aus der Vergangenheit lernen – so stellen wir uns eine Friedensstadt Dülmen vor.“
Immer wieder müssen sich die Friedensfreunde Vorwürfe anhören, sie wären amerikafeindlich gesinnt oder gar parteiisch, doch dem widerspricht Stiels-Glenn vehement: „Wir haben überhaupt nichts gegen die Amerikaner, die sind uns sehr willkommen – zudem ist meine eigene Frau aus den USA –, wir haben nur etwas gegen Waffen und Wettrüsten. Völlig unabhängig davon, welche Nation dahintersteht. Abrüstung kann nur funktionieren, wenn sich alle Nationen darauf einlassen. Dass das in der Praxis nicht vollständig umsetzbar ist, ist uns natürlich bewusst. Aber Abrüstung passiert Schritt für Schritt und mit Dialogbereitschaft. Dann wird der Weg irgendwann frei zum Abzug aller Waffen aus Dülmen. Gewiss hat eine Armee Abschreckungspotenzial gegenüber Feinden. Doch erstens muss das Ziel sein, keine Feinde zu haben und zweitens führt genau dieser Abschreckungsmechanismus zu einem Teufelskreis der Rüstungsausgaben, bei welchem der Kostenaufwand, aber nicht der Nutzen steigt.“
Auch Gegenwind aus der Bevölkerung
Dass das häufige Auftreten in der Öffentlichkeit nicht nur für positive Rückmeldungen sorgt, zeigte jüngst ein Brief, den der Sprecher der Aktivisten in seinem Briefkasten entdeckte. In orthografisch nicht ganz korrekten Sätzen und mit teils entglittener Wortwahl fordert hier ein (dem Kontext zu entnehmender offensichtlich älterer) Mann Stiels-Glenn auf, Dülmen zu verlassen – etwa in Richtung Nordkorea, „wo es auch sehr schön sein soll“. Doch für Wut sorgte dieses Schreiben bei ihm nicht, im Gegenteil: „Ich muss nicht die gleiche Meinung wie jeder andere haben, ich freue mich, dass diese Person aktiv geworden ist und handelt. In dem Brief zählt er auf, wofür das Militär wichtig ist und was wir etwa den Westalliierten zu verdanken haben. Ich sage nicht, dass er unrecht hat – aber das ist kein Grund, die Abschreckungsspirale fortzusetzen. Was Nordkorea angeht: Es steht außer Frage, dass die Situation dort schrecklich für die Menschen ist – gleichzeitig berufe ich mich aber auf eine nordamerikanische Weisheit: ,Wenn du nicht 1.000 Meilen in den Mokassins des anderen gegangen bist, hast du kein Recht, über ihn zu urteilen.‘ Mit dieser Grundlage sollten die Dialoge mit Nordkorea fortgesetzt werden und waffenlose Lösungen angestrebt werden. Wir halten die Ansätze von ,Sicherheit neu denken‘ für sehr gut, ich kann jedem nur empfehlen, sich das einmal anzusehen.“
Zwar machen „Frieden und Abrüstung“ einen elementaren Leitgedanken der Friedensfreunde aus, doch auch „Umwelt und Klima“ sind längst in den Fokus der Aktivisten gerückt: „Der extreme Ressourcenbedarf der Industrienationen im Norden sorgt dafür, dass die armen Nationen im Süden ausgebeutet werden. Dadurch bilden sich mitunter Milizen, Menschen müssen fliehen und es kommt zu Flüchtlingswellen. Alles hängt zusammen, und wenn wir für eine bessere Welt sorgen möchten, fängt das mit dem Umweltschutz vor der eigenen Tür an“, so Stiels-Glenn. „Zudem ist das Militär ein großer Klimakiller, dessen Emissionen nicht in den CO2-Bilanzen auftauchen.“
Seit einigen Monaten arbeiten die Friedensfreunde eng mit dem ADFC und DüNaMi zusammen und setzen sich zusätzlich dafür ein, auf Missstände etwa im Straßenverkehr aufmerksam zu machen. So sorgte eine gemeinsame Poolnudelaktion dafür, auf die eigentlich von Autofahrern einzuhaltenden Mindestabstände aufmerksam zu machen, wenn sie Radfahrer überholen. Für einen regelrechten „Shitstorm“ (ein Sturm der Entrüstung in sozialen Medien) sorgte die Sperrung der Unterführung am Haverlandweg für PKW: „Unsere polizeilich angemeldete Aktion hatte den Zweck, darauf aufmerksam zu machen, dass die Stadt den Haverlandweg bereits seit 1998 zur Fahrradstraße umwidmen will und trotz Gutachten, Konzepten, Expertenmeinungen und Bürgerbefragungen nichts passiert. Insbesondere die Anwohner haben davon die Nase voll. Bei Facebook ernteten wir dafür viel Gegenwind, aber wir wussten, worauf wir uns einlassen. Wir haben zumindest den einen oder anderen zum Denken angeregt. Nicht jede Entscheidung sollte durch eine Windschutzscheibe getroffen werden.“
Fest steht: Nicht alle Dülmener*innen sind vom Einsatz der Friedensfreunde begeistert, nicht in allen Bereichen haben die Friedensfreunde nur Gegenliebe zu erwarten – doch das ist Stiels-Glenn nur zu bewusst: „In unseren ausformulierten Prinzipien heißt es: ,Wir sind streitbar, aber nicht gewalttätig. Unsere Waffen sind Vernunft und unsere Argumente.‘ Und aus diesem Grund sind wir völlig offen dafür, wenn jemand unsere Meinung nicht teilt. Aber dann sollte man unsere Meinung entweder akzeptieren oder sich der sachlichen Diskussion mit uns stellen. Ich persönlich bin immer bereit, mich von anderen Meinungen überzeugen zu lassen und lade jeden zu einem offenen Austausch mit uns ein.“
Folgende Aktionen haben die Friedensfreunde in den kommenden Wochen bereits geplant:
Am 23. August macht zwischen 11.30 und 13 Uhr die Bewegung „Changing Cities“ Halt auf dem Overbergplatz am Stadtquartier. Die Bewegung kämpft kreativ und laut für lebenswerte Städte, sicheres Radfahren und gute Mobilität. Tags darauf, am Dienstag, 24. August, machen die Aktivisten ab 7.20 Uhr an der Hiddingseler Straße darauf aufmerksam, dass der Bürgersteig ihrer Meinung nach einer besseren Sicherung für die Schulkinder bedarf. Für den 7. September steht eine weitere Poolnudel-Demo auf dem Plan, und am 17. September nimmt der Bürgermeister an einer Fahrradttour teil, bei der auf Probleme und Gefahrenstellen für Radfahrer aufmerksam gemacht werden soll.
„Wir haben noch viel vor und werden keine Ruhe geben“, so Stiels-Glenn. „Wir möchten weiter friedliche Impulse setzen – und für meinen Teil kann ich sagen: Ich bleibe gerne eine Nervensäge.“
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Herzlichen Dank an die Redaktion und an Andre Sommer – dafür, dass er sich Zeit genommen hat, dafür, dass er nachgefragt (und auch nachgelesen) hat, dafür, dass er den Mut hat, diesen Artikel zu veröffentlichen.