Lette. Ein seit langem gehegter Wunsch ging vergangene Woche für Timo Nissi aus Rusko in Finnland und Dr. Reinhard und Monika Mantau aus Lette in Erfüllung: der Besuch von Timo Nissi bei seinem Freund im Münsterland. Ein persönliches, viertägiges Wiedersehen voll innerer Verbundenheit, das anknüpfte an eine jahrzehntelange Freundschaft. 1965 hatte es die erste Begegnung der beiden gegeben – und über all die Jahrzehnte war der Kontakt nie abgebrochen. Spätestens seit zwei Jahren telefonieren die beiden einmal im Monat miteinander.
Reinhard Mantau war 20 Jahre alt, als er Timo Nissi kennenlernte. „Ich hatte meine landwirtschaftliche Ausbildung beendet und wollte etwas erleben, lernen und Geld verdienen“, so Reinhard Mantau. Ein landeskundlicher Vortrag in seiner Pfarrgemeinde lenkte den Blick auf Finnland. Vermittelt über den Bauernverband in Münster, kam er für ein halbes Jahr auf den Hof Nissi in Rusko, nicht weit entfernt von der mit dem Bus erreichbaren Großstadt Turku. 64 Hektar Ackerland, mehrere Hektar Wiesen und Weide, 93 Hektar Wald, 14 Milchkühe, eine Handvoll Rinder, zwölf Sauen, Ferkelaufzucht und zehn Hühner. So stellte sich die Landwirtschaft auf dem Hof Nissi dar. Ein Hof, der mit Finnlands Nationalgeschichte eng verbunden ist. Zu Martin Luthers Zeiten gehörte der Hof dem damaligen Reformator Finnlands Martin Agricola.
Porsche-Traktoren zählten zu den Arbeitsgeräten
Beruflich zu tun hatte es Reinhard Mantau in den 1960er Jahren in erster Linie mit Timos Vater Onni, und von ihm erhielt der deutsche Landwirtschaftsgeselle fast volle Verantwortung über den Ackerbau. Zwei Porsche-Traktoren mit 40 und 30 Pferdestärken Leistung gehörten unter anderem zum – auch zu reparierenden und zu wartenden – Arbeitsgerät, ebenso ein Massey-Ferguson-Mähdrescher. Kost und Unterkunft waren frei. „Ich hatte auf dem Hof drei Zimmer und nutzte die Zeit, Finnisch zu lernen – unter anderem mit der Tageszeitung, die teilweise finnische Texte und ihre englische Übersetzung abdruckten“, so Reinhard Mantau.
Die Verständigung zwischen dem Bauern und seinem deutschen Hofhelfer ging in der ersten Zeit ganz individuell. „Außer uns beiden konnte das kaum jemand verstehen“, schmunzelt Reinhard Mantau jetzt im Rückblick.
Gut kann er sich an so manche Begebenheit erinnern. So etwa, als er im Frühjahr den Auftrag erhielt, das Getreide mit Mineraldünger zu versorgen. „Aufgrund eines Missverständnisses habe ich mehr gedüngt, als mein Chef sich das ausgemalt hatte. Dann aber war im Sommer mit den Nachbarn Feldbeschau – und der Weizen von Onni stand prächtig und er lobte mich. Es war ein trockenes Jahr – da kam die gute Düngung gut zum Tragen.“ Am Ende des halben Jahres erhielt Reinhard Mantau dann ein auf Deutsch verfasstes Arbeitszeugnis, das Sohn Timo zu Papier gebracht hatte. Schlusssatz: „Mir und meiner Familie ist er ein guter Freund geworden und für seine Heimat war er ein guter Gesandter.“ Unterschrift Onni Nissi.
Ein Zeugnis, das Reinhard Mantau bei seinem späteren beruflichen Bewerbungen stets mit abgab, neben seinem Agraringenieur-Diplom: „Meine Zeit in Finnland war bei den Bewerbungsgesprächen immer großes Thema.“ Noch heute hält Reinhard Mantau sein damaliges Arbeitszeugnis und das finnische Messer mit dem Birkenholzgriff von damals in Ehren.
Nachdem er 1966 dann eine Zeitlang in England gearbeitet und auch dort bis heute lebendige Freundschaften grundgelegt hatte, war Reinhard Mantau 1967 und 1969 in den Semesterferien jeweils acht Wochen zu Arbeitseinsätzen auf dem Hof Nissi.
„1967 habe ich während der Ernte kaum geschlafen – so nass war es, so beschwerlich war die Getreideernte mit dem immer wieder verstopfenden Drescher und so aufwändig war das Trocknen des Getreides, das vor lauter Feuchtigkeit nicht rieselte, sondern geschaufelt werden musste“, so Reinhard Mantau. Quasi halb im Affekt, halb zum Scherz stöhnte er vor diesem Hintergrund gegenüber seinem Chef Onni: „,Meine ganze Arbeit kannst Du gar nicht bezahlen.‘ Woraufhin Onni keinen Kommentar gab. Kurz vor meiner Abreise nach Deutschland drückte er mir dann ein Sparbuch in die Hand und sagte ,Fahr zur Bank und lass Dir dort so viel Geld davon geben, wie Du verdient hast.‘ Als ich dann von der Bank wieder zurück kam, legte er das Sparbuch unbesehen wieder in seinen Schreibtisch.“ So kann Vertrauen aussehen.
Vorstellungsbesuch mit frisch angetrauter Ehefrau
1972 besuchte Reinhard Mantau dann die Familie Nissi zusammen mit seiner im Jahr zuvor angetrauten Monika. Bei diesem Vorstellungsbesuch ging‘s finnisch zu Sache. „Ich bin ja mit Deiner Mutter damals in Eure Sauna am Fluss gegangen“, erinnert sich Monika Mantau bei einem Letter Eisbecher auf der Mantau‘schen Terrasse. „Das war wunderbar!“
Die Verbundenheit zur Familie Nissi blieb: 1980 besuchte Reinhard Mantau die Agrarmesse in Turku, 1989 verbrachte er mit einer kanadischen Austauschpraktikantin, seiner Frau Monika und den Kindern Britta und Fabian drei Wochen im Sommerhaus der Familie Nissi, und 2001 besuchte er mit Sohn Fabian bei einer Rundreise um die Ostsee Timo Nissi, seine Frau und seine Kinder auf dem Hof Nissi, und 2019 schloss sich ein Besuch dort und in der Region zusammen mit Schwiegersohn Gero an. Inzwischen kennt Reinhard Mantau vier Generationen vom Hof Nissi.
Was die Freundschaft mit Timo betrifft, dessen jüngster Sohn den Bauernhof weiter fortführt: „Wenn man in so jungen Jahren Freundschaften begründet, hat das eine ganz besondere Qualität – man begleitet sich gegenseitig über die Jahre hin und teilt eine Menge Zeit, Erlebnisse und Erfahrungen miteinander und vertraut sich. Das ist unheimlich wertvoll – und dafür kann man dankbar sein!“