Dülmen (pbm/mek). Was täglich auf ihn zukommt, weiß Hans-Jürgen Ludwig meistens nicht. „Das Leben und das Sterben sind nicht planbar“, hat der 65-Jährige in den 23 Jahren, in denen er in der Krankenhausseelsorge in Münster, Dülmen und seit sieben Jahren im St.-Sixtus-Hospital in Haltern am See tätig ist, erfahren.
Viele Geschichten kann er erzählen. Eine davon ist die des jungen Mannes, der an einem Tumor erkrankt war. Der Vater von zwei jüngeren Kindern habe niemanden an sich herangelassen. „Er dachte, er müsse stark für seine Familie sein“, berichtet Ludwig. Seine Töchter hätten sich immer weiter von ihm entfernt. Sie seien völlig verunsichert gewesen, hätten ihren Vater nicht wiedererkannt. „Gemeinsam mit dem Arzt habe ich der Familie ein Gesprächsangebot gemacht. Die Mutter kam mit den Kindern zu uns, und die Beiden haben ganz viele Fragen gestellt“, erinnert sich der Pastoralreferent. Der Arzt habe ihnen alles erklärt bis hin zu der Möglichkeit, dass ihr Vater sterben könnte. „Natürlich wurde viel geweint, aber für die beiden Kinder war das Eis gebrochen. Sie konnten nun ihren Vater verstehen und sind aus dem Gesprächsraum zu ihm hinausgestürmt. Sie haben sich zu ihm ins Bett gelegt und ihn im Rollstuhl kreuz und quer über die Station gefahren. Da war dann plötzlich ganz viel Leben im Sterben“, berichtet Ludwig und greift damit das Leitthema der diesjährigen ökumenischen „Woche für das Leben“ auf. Die Mutter, zunächst skeptisch, sei sehr dankbar für das Gespräch gewesen, für die Wahrhaftigkeit, mit der das Miteinander stattgefunden habe, mit der Schwere und der Leichtigkeit der Situation.
Ludwig nennt es „das Wagnis der Seelsorge“, das an diesem Beispiel deutlich werde. „Wir wissen, dass ein bewusst durchlebter Abschied den Trauerweg beeinflusst. Das kann schwer sein, aber es hilft. Die beiden Mädchen haben nach dem Gespräch gewusst, um was es geht. Es war nicht ihrer Fantasie überlassen“, berichtet Ludwig. Einen solchen Abschied zu ermöglichen sei ein Ziel der seelsorglichen Begleitung von Sterbenden. „Es gibt viele gegenseitige Schutzmechanismen. Sie authentisch und wahrhaftig ins Gespräch zu bringen ist wichtig“, weiß er.
Zwei große Themen würden Menschen am Ende ihres Lebens beschäftigen. „Sie fragen sich, ob sie wirklich sich selbst gelebt haben oder nur den Erwartungen anderer gefolgt seien. Und die zweite große Frage ist oftmals, ob sie Liebe empfangen und geben konnten“, berichtet der Seelsorger, der diese Themen mit den Patienten auf ihrem Weg bespricht. „Wenn jemand den Eindruck hatte, gelebt zu haben, kann er das Leben auch leichter hergeben. Wenn jemand das Gefühl nicht hat, hilft ihm das Gespräch, in einer neuen Weise zu sich selbst zu finden und dann auch loslassen zu können“, sagt der Psycho-Onkologe. Ebenso schaue er sich mit den Todkranken Hindernisse wie Konflikte oder Schuldgefühle an. „Wir sprechen darüber, was durch Begegnungen vielleicht noch gelöst werden kann. Was nicht mehr gelöst werden kann, versuchen wir als Seelsorgende mitzutragen.“
Aber es gebe im Krankenhaus auch kurze Begleitungen. „Vielleicht geht es nur darum, die Hand zu halten, vielleicht ist noch ein einziges Gespräch möglich, oder wir können eine Begegnung organisieren, damit der Sterbende weiß, dass es zuhause irgendwie weitergehen wird und dann auch loslassen kann“, nennt er Beispiele.
Intuition und Einfühlungsvermögen, das ist es, was Ludwig für seine Aufgabe braucht. „Die Seelsorge empfinde ich als meine Berufung. Menschen zu begleiten gehört zu meiner Identität“, hat er früh gespürt. Seit 23 Jahren sind es vornehmlich Menschen auf ihrem letzten Weg. „Ich erlebe immer wieder die Dichte des Lebens und seine Vielfältigkeit bei meiner Arbeit. Das motiviert und bewegt mich. Privat liebe ich das Leben in seiner Fülle, ich mag es, mich in der Natur zu bewegen und mich körperlich zu verausgaben“, sagt er. Der Spagat gelinge ihm. „Selbstreflexion und Selbsterfahrung gehören zur Ausbildung der eigenen Haltung. Das hilft natürlich. Auch mein eher biblischer Glaube stützt mich. Nicht wie ein Trostpflaster, aber ich weiß, wie ich mich dem Leben stellen kann und wo ich verankert bin.“ Sicherlich, das Schwere habe in seinem Beruf einen großen Stellenwert. „Das bedarf einer innerlichen Sensibilität. Man muss den Mut haben, das anzupacken, was einem begegnet. Aber man darf sich nicht in die Tiefe ziehen lassen, sondern muss mit großer Offenheit und dem Mut den Menschen begegnen sowie sich darauf einlassen, was sie mitbringen.“