Dülmen. Wer Melanie Wilhelmy begegnet, merkt schnell: Diese Frau hat Präsenz – nicht, weil sie laut wäre, sondern weil sie genau weiß, wer sie ist. Sie spricht geradeaus, lacht laut, und wenn man mit ihr redet, hat man das Gefühl, sie meint wirklich, was sie sagt. In der Dülmener Filiale von H&M, wo sie als „Cash Office Responsible“ arbeitet und für die Organisation des Kassenbüros, der Verwaltung und der Abläufe im Geschäft verantwortlich ist, wechselt sie täglich zwischen klassischen Outfits und bunten Lieblingsstücken – manchmal mit einem Shirt mit Katzenmotiv, manchmal mit einem Iron-Maiden-Pulli. Mode ist für sie kein Accessoire, sondern Ausdruck. „Ich zieh an, worauf ich Bock hab“, sagt sie. „Das muss nicht jedem gefallen.“
Doch in ihrer Freizeit lebt sie eine Seite aus, die kaum jemand erwartet. Dann schlüpft sie in aufwendige Kostüme, fährt zu verlassenen Orten oder Mittelaltermärkten – und verwandelt sich vor der Kamera in eine Dunkelelfe oder Kriegerin aus einer anderen Welt. Viele ihrer Fotos gehören zur sogenannten „Dark Fantasy“-Szene – einer Mischung aus Fantastik, Mystik und aufwendiger Verkleidung. „Das ist für mich Kreativität pur“, sagt sie. „Ich liebe das – in andere Rollen schlüpfen, bisschen rumspinnen, was Eigenes draus machen.“
Und wer glaubt, das sei ihr einziges Ventil, irrt. Spätestens auf ihrem Twitch-Kanal – einer Onlineplattform, auf der man anderen beim Spielen oder Quatschen zusehen kann – zeigt sie sich genauso, wie sie ist: direkt, derb, mit einem guten Schuss Humor. „Mein Kanal ist ab 18“, sagt sie grinsend. „Ich fluch halt manchmal. Wenn mir einer im Spiel auf den Sack geht, sag ich das auch. Ich kann mich da nicht verstellen.“
Im Gespräch wirkt Melanie ehrlich, aber auch reflektiert. Sie erzählt, dass das alles nicht geplant war – weder die Fotoshootings noch der Streamingkanal. „Das kam einfach so. Ich wollte was ausprobieren, bisschen raus aus dem Alltag, was Eigenes machen.“ Aus einer spontanen Idee wurde ein Hobby, aus dem Hobby Leidenschaft. Heute steht die 36-Jährige regelmäßig vor der Kamera, oft stundenlang, in selbst zusammengestellten Kostümen, die zwischen elegant und düster wechseln. Sie liebt Kontraste – das Schwarze, das Glänzende, das Geheimnisvolle.
Dabei geht es ihr nie nur ums perfekte Bild. „Ich kann da abschalten“, sagt sie. „Wenn ich mich verwandle, ist der Kopf einfach mal ruhig. Kein Stress, keine Grübelei – das ist fast wie Meditation, nur halt in Leder und mit falschen Ohren. Ich wollte am Amfang wissen, wie ich auf Bildern wirke“, erzählt sie. „Am Anfang war das gar nicht so leicht. Ich war eher schüchtern. Aber durch die Fotos hab ich mein Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein aufgebaut – Stück für Stück. Heute steht sie regelmäßig vor der Kamera, mal als Elfe, mal in Korsetts, Lederjacken oder eleganten Kleidern. „Ich mag’s, mich zu verändern. Das bin alles irgendwie ich – nur in verschiedenen Versionen. Dadurch nimmt man sich anders wahr.“
Vielleicht ist Twitch für sie deshalb mehr als nur Freizeit. Während andere nach der Arbeit die Füße hochlegen, schaltet sie ihr Mikro ein, startet das Spiel und lässt die Welt teilhaben.
Wer ihr zuschaut, erlebt keine Show, sondern einfach sie. Zwischen flapsigen Sprüchen und ehrlichem Gelächter entsteht eine Atmosphäre, die echt wirkt. Melanie lacht über sich selbst, ärgert sich über Spielfehler, redet über den Alltag – als würde man mit ihr auf dem Sofa sitzen. „Ich brauch das“, sagt sie. „Das ist mein Ausgleich. Ich will da nix vorspielen. Wenn ich nen scheiß Tag hab, merken das die Leute sowieso. Dann bin ich halt mal ruhiger – auch okay.“
Ihre kreative Seite hat Wurzeln, die weit zurückreichen – nach Minden-Lübbecke, wo sie aufgewachsen ist. „Ich war nie das Mädchen in Rosa mit Schleifchen“, sagt sie lachend. Als Teenager war sie Teil der Gothic-Szene, fasziniert von dunkler Musik, von Kontrasten und davon, einfach anders sein zu dürfen. „Da ging’s nicht drum, wem zu gefallen. Da ging’s drum, rauszufinden, wer man ist. Und das hat mich nie losgelassen.“
Ein bisschen davon ist geblieben – auch wenn sie heute keine schwarzen Samtumhänge mehr trägt. Die Faszination fürs Ästhetische, fürs Spiel mit Identitäten: all das lebt sie heute wieder aus, wenn sie sich für ein Shooting in eine Elfe verwandelt oder in einem alten Fabrikgebäude mit Schwert und Kontaktlinsen posiert. „Ich liebe das. Das ist kein Verkleiden. Das bin ich – nur anders verpackt.“
Über Umwege ist sie 2017 in Dülmen gelandet, wo sie sich schnell zuhause gefühlt hat. „Hier ist’s ruhiger, entspannter – aber ich mag das. Und der Wildpark ist mega.“ Ihre Arbeit bei H&M gibt ihr Sicherheit und Routine, und trotzdem genug Luft für Kreativität. Dass Kolleginnen oder Kunden manchmal überrascht sind, wenn sie ihre Fotos sehen, findet sie lustig. „Viele sagen: ‚Hätt ich nie gedacht!‘ – ja, ich weiß. Aber das bin halt auch ich.“
Sie lacht, ehrlich und herzlich – so wie sie eben ist. „Ich sag halt, was ich denk. Kommt nicht immer gut an, aber naja. Lieber ehrlich als fake.“
Vier Mal in der Woche geht‘s ins Fitnessstudio
Disziplin war für Melanie nie ein Fremdwort. Seit sie 19 ist, gehört Sport fest zu ihrem Leben. „Ich war mal richtig ehrgeizig, wollte sogar auf die Bühne“, erzählt sie. „Dann hab ich mir die Hand zerlegt – Operation, Pause, alles im Eimer.“ Trotzdem hat sie nie aufgehört. Heute trainiert sie regelmäßig im Flexgym – direkt über dem H&M, in dem sie arbeitet. „Ist doch perfekt: Feierabend, Treppe hoch, Kopf aus.“
Man merkt, sie weiß, was sie tut. Sie hat mehrere Fitnesstrainerscheine, könnte Kurse geben – macht’s aber nur für sich. „Ich brauch das, um runterzukommen. Nicht aus Zwang, sondern weil’s einfach dazugehört.“
Geld verdient sie mit ihren Hobbys bisher nicht – weder mit dem Streamen noch mit den Fotos. „Kein Cent!“, sagt sie und lacht. „Aber wenn’s irgendwann jemand bezahlen will – klar, nehm ich! Aber das ist nicht der Punkt. Ich mach das, weil’s Spaß macht.“
Früher hatte sie sich mal in einer Modelkartei angemeldet. „Da kamen schon coole Sachen – aber auch viel Mist. Heute mach ich nur noch mit Leuten, denen ich vertraue. So wie Martin – der fotografiert aus Spaß, und wir ticken gleich. Kein Druck, kein Showgehabe, einfach kreativ sein.“
Beim Reden über das Streamen wird ihre Stimme leiser. „Ich bin natürlich nicht immer die, die lacht. Manchmal bin ich einfach platt. Aber dann geh ich trotzdem live. Weil’s gut tut. Weil man merkt: da sind Leute, die verstehen das.“ Ihr Kanal auf Twitch ist für sie kein Schaufenster, sondern fast wie ein Wohnzimmer.
Am häufigsten spielt sie Valheim – ein Survival-Spiel, in dem man in einer nordischen Welt bauen, jagen und überleben muss. „Da kann ich mich verlieren – im guten Sinne.“ In ruhigeren Momenten greift sie zu Stardew Valley, einem Spiel, in dem man Gemüse anbaut, Tiere füttert und einfach den Tag vergehen lässt. „Das ist mein digitales Durchatmen. Kein Stress, kein Ziel, einfach chillen.“
Natürlich gibt’s auch Tage, an denen sie sich fragt, warum sie sich das überhaupt antut – sichtbar, verletzlich, müde. Aber sie winkt ab. „Ach, ich bin halt so. Ich fluch, ich lache, ich jammer – manchmal alles in zehn Minuten. Aber das bin ich. Kein Filter, kein Theater.“
Und dann ist da noch Bruce-Lee – acht Jahre alt, grau getigert, eigensinnig und Chef im Haus. „Der Typ ist ne Mischung aus Diva und Clown. Ohne den geht nix.“ Wenn sie über ihren Kater redet, wird sie weich. Sie nennt sich selbst gern „Katzenlady“, fügt aber sofort hinzu: „Aber nicht so wie die Irre aus den Simpsons, ja? Ich fahr keine Katzen im Einkaufswagen spazieren.“
Mit Katzen hängt auch ihr Online-Name zusammen – zumindest so halb. Auf Twitch und Instagram ist sie als Klappohrkatze unterwegs. „Viele denken, das hat mit Bruce-Lee zu tun“, sagt sie lachend. „Aber das war eigentlich der Titel von nem Buch. Ich fand den einfach schön. Klingt irgendwie wie ich – bisschen schräg, aber liebenswert.“
Vielleicht ist es das, was Melanie ausmacht: diese Mischung aus Disziplin und Leichtigkeit, aus Direktheit und Herz. Sie lebt zwischen Alltag und Fantasie, zwischen H&M, Gamerin und Dunkelelfe – und wirkt dabei immer ganz sie selbst. Kein Filter, kein Schauspiel, nur Authentizität. Eine Frau, die weiß, wer sie ist – und die keine Angst hat, all ihre Seiten zu zeigen.

