Dülmen/Rorup. Die Zeit der Römer hier in der Region vor gut 2000 Jahren erlebbar zu machen – das ist das Anliegen auch von Ralf Koritko aus Dülmen und von Ralf Tenge aus Rorup. Beide gehören seit 2018 zu den ehrenamtlich Aktiven des LWL-Römermuseums in Haltern am See – als Legionärs-Darsteller treten sie in die Rollen von Soldaten der 19. Legion des römischen Reichs kurz nach Christi Geburt. Und haben sich dazu entsprechende Legionärsmontur zugelegt – unter anderem auch in eigenständiger Handarbeit und in mehreren, vom Römermuseum angebotenen Workshops.
Von März bis Oktober sind Ralf Koritko und Ralf Tenge alle paar Wochenenden sonntags auf dem Außengelände des Museums anzutreffen. Dort, im Aliso-Park hinter dem Museum, steht seit ein paar Jahren auf 90 Metern Länge eine Nachbildung der mehrere Meter hohen Holz-Erde-Mauer des römischen Militär-Stammlagers der 19. Legion, das sich hier befunden hat. Mitten in der Mauer das nachempfundene Westtor des Lagers, rekonstruiert an der Stelle, an der bei Grabungen Reste der urspünglichen Toranlage im Boden zu finden gewesen waren. In den übrigen, kälteren Monaten, wenn das Außengelände geschlossen ist, versehen die beiden Legionäre gelegentlich auch Museums-Innendienst.
„Begegnungen mit den Besuchern machen Spaß“
„Es macht einfach Spaß, sich in die Zeit früher hineinzuversetzen und sich damit zu beschäftigen“, sagt Ralf Koritko. „Und vor allem die Begegnungen mit den Besucherinnen und Besuchern des Museums und des Aliso-Parks sind super“, so der 63-Jährige.
Am meisten Freude macht dem Vater dreier erwachsener Kinder der Kontakt mit den Kindern, die das Museum und die Außenausstellung besuchen. „Ich sprech sie dann häufig in meiner Rolle als Legionär an, und oft entwickelt sich ein tolles Gespräch – und immer sind die Kinder beeindruckt.“ Das geht ganz schnell: „Kamerad! Was ist Dein Begehr?“ kann dann schon mal der erste Satz lauten. „Und schon kommen die Fragen der Kinder.“ Einmal, so erinnert sich Ralf Koritko, der beruflich als ambulanter Krankenpfleger und als Koordinator der Ambulanten Hospizbewegung Dülmen e. V. tätig ist, seien Eltern mit einem Jungen, der eine römische Legionärsuniform aus Pappe trug, auf ihn zugekommen. „Der junge Mann hatte einen ganzen DIN-A4-Zettel voll mit Fragen dabei. Das war dann schon eine Herausforderung“, schmunzelt Ralf Koritko, dessen Legionärs-Name in Haltern „Aulus Avidius Longinus“ lautet. Auf einem Blechplättchen an der Rüstung ist der Name eingeprägt zu lesen – und auf der Leder-Innenauskleidung seines Helms ist der Name eingenäht. „Wir nennen uns hier oft bei unserem lateinischen Rollen-Namen. Bei mir also Longinus.“ Was so viel heißt wie „der Lange“. Eine treffende Bezeichnung für den 1,93-Meter-Römer-Soldaten.
„Ein andermal“, so kommt Longinus weiter auf seine Erlebnisse mit Meseumsbesuchern zu sprechen, „war meine Trinkflasche leer. Da hab‘ ich einen Jungen angesprochen: ,Kamerad, ich habe Durst. Du kannst mir helfen und die Flasche im Museum mit Wasser auffüllen und mir bringen.“ Es sei dem Jungen anzumerken gewesen, wie gern er dem Legionär auf diese Weise hatte helfen können.
In Haltern waren rund 5.000 Legionäre stationiert
Auch Ralf Tenge macht sein Einsatz als Legionär in Haltern Spaß. Zumal sich mit dem Legionär-Darstellen das Eintauchen in eine ganz andere zeitliche Epoche verbindet. Nicht zuletzt die Techniken der Römer bilden da ein spannendes Thema für den zweifachen Familienvater, der beruflich sein Geld als Berater eines IT-Dienstleisters verdient und in der Freizeit im Löschzug Rorup der Freiwilligen Feuerwehr Dülmen als Unterbrandmeister engagiert ist.
„Hier im Lager waren rund 5.000 Legionäre stationiert – und zusätzlich noch Offiziere, Unteroffiziere, Legaten, ziviles Personal – und Hilfstruppen. Es gab eine Schmiede, eine große Bäckerei und auch ansonsten all das, was notwendig war“, erklärt er. Jeden Tag hatten die Legionäre zu üben und zu trainieren – die Tagesmarschleistung betrug bis zu 30 Kilometer. „Und auch ansonsten war einiges zu tun. Sei es, Wasserleitungen zu verlegen, sei es der Straßenbau.“ Legionäre hatten fit zu sein: „Wenn man die komplette Ausrüstung eines Legionärs auf die Waage legt, kommt man auf 45 bis 50 Kilogramm, was er zu tragen hatte“, erklärt der 56-Jährige, der in seiner Rolle als Legionär den Namen „Gnaeius Domitius Pulcher“ trägt und von seinen Legionärs-Kameraden oft einfach nur „Pulcher“ genannt wird. Übersetzt: „Der Schöne“. Wenn er mit Ralf Koritko als Legionär Dienst tut, sind also der Lange und der Schöne im Einsatz …
Und damit auch zwei mit unterschiedlichem Kampfschutz. Während Ralf Koritko einen sogenannten Schienen-Panzer aus Eisenplatten mit Messing-Scharnieren und Lederschnallen trägt, ist es bei Ralf Tenge ein Kettenhemd aus Eisen. „So rund zehn Kilogramm bringt es auf die Waage“, schmunzelt der Schöne. Und hinterlässt auch Spuren auf dem Untergewand, der Unter-Tunika aus ungefärbtem Leinenstoff. „Das Hemd kann man waschen, wie man will – die Metall-Spuren des Kettenhemds bekommt man nicht mehr heraus.“
Öffentlicher Aufruf für Rolle als Legionärs-Darsteller
Eine Erfahrung, die auch andere Mitstreiter der Legionärs-Gruppe gemacht haben. Denn rund 25 Legionäre zählen zu der Mannschaft, die als Soldaten-Darsteller im und am Halterner LWL-Römermuseum Dienst tun. Sie und weitere hatten 2018 den Aufruf wahrgenommen mit der Botschaft: „Aliso braucht Dich“. „Die Sache hat mich einfach angesprochen“, so Ralf Koritko, der mit seiner Familie – als die Kinder noch kleiner waren – 15 Jahre lang Mitglied einer Mittelalter-Gruppe in Dänemark war; durchweg zwei Wochen dauerten damals die Mittelalter-Aufenthalte in Dänemark, bei denen unter anderem auch ein Fachwerk-Gebäude errichtet wurde.
Insgesamt meldeten sich rund 60 Männer und mehrere Frauen auf den Aufruf „Aliso braucht Dich“, die interessiert daran waren, sich zu Legionären beziehungsweise Gefolgsfrauen fürs Lager Aliso in Haltern ausbilden zu lassen. „Aus dieser Zahl wurden dann in einem Bewerbungsverfahren 25 ausgewählt – man hatte gar nicht mit so viel Interesse gerechnet“, so Ralf Koritko.
Schuhe selber anfertigen war „unheimlich Arbeit“
Diese 25 waren dann zu den darauffolgenden Workshops eingeladen: Marschieren üben – und vor allem die eigene Ausrüstung herstellen. Aus Leinen- und aus Wollstoff Unter- und Obertunika sowie Mäntel schneidern und aus Leder eigene Militärschuhe herstellen. „Drei Sohlen aus Leder, miteinander vernäht – das war schon unheimlich Arbeit“, so Ralf Tenge. Denn durch Leder zu nähen ist schon eine Herausforderung. Die Löcher dazu galt es mit einer Ahle zu stechen. „Ich hab‘ die Ahle in einen Akkuschrauber gespannt. Sonst hätte das unglaublich lange gedauert“, so Ralf Tenge. Zu den Löchern für die Nähte kamen auch noch die Eisennägel dazu, die beim Marschieren den so charakteristischen Klang ergeben. Fleißarbeit!
Auch das Herstellen der Kampf-Schilde ist alles andere als ein Pappenstiel. „Die Sperrholzplatten sind über heißem Wasser und im Wasserdampf aufgeweicht und dann gebogen worden“, so Ralf Koritko. „Und dann habe ich das Holz mit Leinenstoff bespannt, blau gestrichen und Details aufgemalt.“ Anhand eines kleinen Modells hat er nach und nach mehrere Schilde gestaltet. „Um die Messing-Beschläge rund um die Schilde und beispielsweise das Capricorn kümmert sich ein Legionärs-Kollege, der Ahnung von Blecharbeiten hat. Ich kümmer mich eben ums Bemalen“, so Ralf Koritko.
Nicht selber hergestellt ist der Schienen-Panzer. „Den habe ich von einem Versand im Open-air-Ort Wacken, der Rüstungsnachbildungen der verschiedenen Epochen – Altertum, Mittelalter – anbietet“, so Ralf Koritko. Das Schwert und den Dolch hat er sich in Rom gekauft. „Alles in allem steckt in meiner Ausrüstung der Corona-Bonus in Höhe von 1.500 Euro, den wir Mitarbeiter im Bereich Pflege bekommen haben“, berichtet Ralf Koritko. „Es ist aber gut angelegtes Geld.“
Einer von fünf Standorten für Landesausstellung
Jetzt, über den Winter, pausierten die Legionärs-Einsätze am und im LWL-Römermuseum, denn es laufen die Vorbereitungen für die archäologische Landes-Ausstellung „Roms fließende Grenzen“. In Köln, Bonn, Detmold, Xanten und Haltern sind Standorte der Ausstellung, die in Haltern am 27. März eröffnet wird und sich dort bis 30. Oktober erstreckt. Hintergrund ist, dass seit Juli 2021 der Niedergermanische Limes – der rund 400 Kilometer lange Grenzverlauf des Römischen Reichs von Remagen am Rhein bis in die Niederlande – in die UNESCO-Weltkulturerbeliste aufgenommen wurde. Unter anderem werden neue archäologische Funde bei der Ausstellung gezeigt und auch neue mediale Aufbereitung.
So entsteht an der Lagermauer-Rekonstruktion im Aliso-Park in Haltern gegenwärtig in Fachwerk-Bauweise ein mit Holzschindeln gedecktes Wachhaus, in dem künftig unter anderem Schlafplätze, eine Arrest-Zelle und ein Escape-Room zu finden sein werden.
Weitere Infos unter anderem auf www.roemer.nrw und www.lwl-roemermuseum-haltern.de – ebenso auch zu den Römertagen am 6./7. August. Wie 27./28. März sind auch dann die Halterner Legionärsdarsteller im Einsatz.