Dülmen. Seit 15 Jahren berichtet Holocaust-Zeitzeugin Eva Weyl aus Amsterdam jedes Jahr in rund 50 Schulen aus ihrem Leben und vor allem aus den drei Jahren, die sie zusammen mit ihren Eltern im Konzentrationslager Westerbork in den Niederlanden verbrachte. Dorthin zentralisierten die Nationalsozialisten in den 1940er Jahren insgesamt 107.000 Juden, Sinti und Roma und Widerstandskämpfer – bis auf 5.000 wurden alle nach und nach in die Vernichtungslager im Osten wie vor allem Auschwitz deportiert und in der Regel dort ermordet. „Weil mein Vater Deutsch sprach, holte der Lagerkommandant ihn in die Lagerverwaltung – das rettete unserer Familie das Leben“, so Eva Weyl.
„Der SS-Lagerkommandant Gemmeker, der zuvor Polizist in Düsseldorf gewesen war, war ein perfider Schreibtischmörder – 80.000 Tote gehen auf sein Konto“, charakterisiert Eva Weyl den Kommandanten. „Er ließ niemanden in Westerbork umbringen. Aber er ließ wöchentlich Lagerinsassen in die Vernichtungslager deportieren.“
Das Durchgangslager Westerbork „war wie kein anderes Konzentrationslager – es war eine trügerische Scheinwelt: Es gab drei Mal am Tag Essen – ich habe nie gehungert –, wir Kinder gingen zur Schule, und die Arbeit der Erwachsenen war geregelt. Es fanden wöchentlich Theater- und Unterhaltungsabende statt, und es gab ein Krankenhaus mit 1.900 Betten, 200 Ärzten und 2.000 Pflegekräften – es war das größte Krankenhaus der Niederlande. Es gab jüdische Polizei, einen jüdischen Bürgermeister, alles wirkte fast wie ein normales Dorf, in dem bis zu 17.000 Menschen lebten – nur dass da Stacheldraht drumherum war“, sagte Eva Weyl.
Die Unterbringung erfolgte weitgehend in Baracken. „Da war es sehr kalt, dreckig, und ganz schlimm war für mich, dass die Latrinen keine Trennwände hatten. Es gab keine Privatsphäre“, so Eva Weyl.
Die Zusammenstellung der Gruppen, die zu den Vernichtungslagern im Osten deportiert wurden, erfolgte nachts. „Die ersten beiden Male, als nachts Mitbewohner aus unserer Baracke geholt wurden, bin ich noch wach geworden. Meine Mutter beruhigte mich mit meinen sieben Jahren. Und so bin ich die nächsten Male, in denen nachts Leute aus der Baracke geholt wurden, nicht mehr wach geworden.“
Nach zehn Monaten in der Baracke kam die Familie in eine andere Unterkunft, weil Eva Weyls Vater, der bislang in dem Lager in der Landwirtschaft gearbeitet hatte, nun in die Lagerverwaltung geholt worden war. „Der Lagerkommandant wollte Deutschsprachige um sich herum“, so Eva Weyl, deren Urgroßvater in Haltern lebte. Ihre Vorfahren zogen dann nach Erkelenz und von da nach Kleve, wo die Familie das größte Kaufhaus der Umgebung baute. Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, zog die Familie 25 Kilometer weiter nach Arnheim in den Niederlanden und gründete dort ein Textilgeschäft; das Kaufhaus Weyl in Kleve wurde von Kaufhof übernommen; das Kaufhaus Weyl in Erkelenz führte eine Großtante weiter.
Die Ausgrenzung der Juden durch die Nationalsozialisten veranschaulichte die überlebende Holocaust-Zeitzeugin anhand auch von Fotos – etwa von der Aufschrift auf einer Schultafel: „Der Jude ist unser größter Feine“.
„Warum hat man uns Juden diese Verfolgung angetan? Aus Neid, Intoleranz, Respektlosigkeit und Hass“, sagte Eva Weyl und stellte gegenüber den Schülerinnen und Schülern klar: „Keiner von Euren Eltern oder Großeltern ist verantwortlich für die Vergangenheit. Aber Ihr habt eine Verantwortung, dass es so etwas nicht wieder gibt! Denkt nach und hört auf Euer Herz, wenn Menschen oder Menschengruppen ausgegrenzt werden!“
Sie ermunterte ihre Zuhörerinnen und Zuhörer auch, sich näher mit dem Holocaust zu befassen: „Es gibt einen guten Film zur Wannsee-Konferenz, in der die Vernichtung der europäischen Juden beschlossen wurde. Schaut Euch den Film an!“