Von André Sommer
Dülmen. Die Vorweihnachtszeit. Kalte Abendluft. Gemütliche Stunden unter einer warmen Wolldecke. Ein gutes Buch. Christstollen. Glückseligkeit: An genau so einem Abend vor wenigen Jahren geschah es, dass ich von einem Geistesblitz getroffen wurde. „Warum ist Christstollen eigentlich immer süß – und nie herzhaft? Käse-Schinken-Stollen!“ Kaum war dieser Spross in meinen Kopf gepflanzt, ließ er mich nicht mehr los. Wie gut, dass ich 13 Jahre lang gemeinsam mit Felix Grote von der gleichnamigen Bäckerei die Schulbank gedrückt habe. Doch kaum hatte ich meine Idee vorgestellt, sagte er, ich würde spinnen. Gut, er wird recht haben. Er kennt mich ja lange genug. Aber ich blieb hartnäckig. Über Jahre. Und nun wurde ich belohnt: Felix lud mich in der vergangenen Woche ein, mit ihm meine Idee in die Tat umzusetzen. Und zu scheitern, wie er mir versprach …
Der große Tag war am Mittwoch gekommen. Voller Vorfreude hatte ich mir am Vortag bereits 500 Gramm gewürfelten Gouda besorgt, dazu 500 Gramm kleine Schinkenwürfelchen. Aufgeregt betrat ich Grotes Backstube am Pappelwäldchen und wurde von Felix in Empfang genommen. Noch einmal betonte er, dass ich nicht zu viel erwarten soll. Das größte Problem sei, dass klassischer Stollenteig süß angerührt wird: „Da gehört eigentlich viel Zucker rein. Und Marzipan. Und Rosinen!“ Zudem erklärte er mir, dass alle Zutaten unter den Begriff „Früchte“ zusammengefasst würden …
Am Backtisch angekommen, nahm mich zusätzlich Mitarbeiter Rolf Püth in Empfang, der von der Idee erfahren hatte und auch über den Feierabend hinaus dabei sein wollte. Schnell holte er den vorbereiteten Rohteig und erklärte auf meine Frage, was alles in dem Teig sei: „Liebe und ganz viel Butter. In der Reihenfolge.“ Felix ergänzte später, dass normalerweise noch Zutaten wie Zitronat, Orangeat und verschiedene Gewürze oder Aromen untergemischt werden. In unserem Fall brauchten wir aber nur meine „Früchte“.
Kurzerhand mischten wir Käse- und Schinkenwürfel unter, und die erfahrenen Bäcker portionierten die Masse für die Formen. Von der Weltidee erfasst, wollte Püth aber mehr: „Lasst uns einen mit Marzipan machen! Ich könnte hinterher eine hübsche Pfefferkruste oben draufzaubern…“ Felix Grotes Augenbrauen schossen zwar verwundert in die Höhe, doch kurz darauf war einer der sechs Stollen bereits um Marzipan bereichert und die Kunstwerke gingen in den Ofen. 60 Minuten Backzeit bei 200 Grad Celsius.
Die Kostprobe folgte erst einen Tag später, und was soll ich sagen? Felix hat sogar eine Pfefferkruste auf die Stollen gemacht. Und der Geschmack? Mein erster Gedanke war „irgendwie disharmonisch“. Schmeckt zwar nicht total schlecht, aber ich würde niemandem das Nachbacken empfehlen. Süßer Schinken und der Hauch von Orange. Als ich allerdings später meinem Bruder Simon ein Stück zum Kosten gab, war er begeistert. Geschmäcker sind halt verschieden.
Das war übrigens nicht das erste Experiment dieser Art – so war Felix‘ Reaktion auf das Werk: „Ich fand die Thunfisch-Sahnetorte besser …“