Dülmen. Seit ein paar Tagen liegt sie vor: Die Neuausgabe von 30 Erzählungen, Novellen und Geschichten, die Max von Spiessen (1852-1921) verfasst hat. Anlässlich des heutigen 170. Geburtstag des Militäroffiziers, Genealogen, Heraldikers und Autoren, der die ersten 38 Jahre seines Lebens in Dülmen verbrachte, hat Dr. Ralf Oldenburg zusammen mit dem Berliner Verlag Bärenklau die 30 Spiessen-Texte überarbeitet und mit einem neuen Titel versehen: „Das Efeublatt“. Gut 250 Seiten umfasst das Buch, aus dem Dr. Ralf Oldenburg am 2. September ab 17.30 Uhr im einsA vorlesen wird. Der Heimatverein Dülmen, der Förderverein für Kunst und Kultur in der Stadt Dülmen und das Stadtarchiv Dülmen unterstützen diese Leseveranstaltung, bei der auch Exemplare von „Das Efeublatt“ zum Kauf angeboten werden. Der Erlös aus dem Verkauf und des gesamten Nachmittags ist für das Dülmener Sozialkaufhaus MuM24 bestimmt.
Vor 20 Jahren hatte Oldenburg die 30 jeweils recht kurzen Texte bereits einmal herausgegeben. „Der Titel des Buchs war damals ein wenig sperrig – ,Leseausgabe‘“, meint Oldenburg jetzt im Rückblick. Aber dennoch gingen die seinerzeit 300 gedruckten Exemplare komplett weg. Einen ganzen Schwung – 50 Stück – hatte seinerzeit das Adelshaus von Schellersheim, das in Porta Westfalica auf dem Rittergut Eisbergen residiert, abgenommen und unter Verwandten und Freunden verteilt. Denn einer der Texte von Max von Spiessen handelt von einer früheren Generation der ostwestfälischen Adelsfamilie.
Was von der Familie Schellersheim in dem Spiessen-Text zu lesen ist hätte heutzutage das Zeug zu einer längeren Reihe von Beiträgen in den Zeitschriften und Zeitungen, die nur allzu gern Promis und Vertreter des Adels in den Fokus rücken.
„Max von Spiessen ist bei seinen Forschungen über Adelsfamilien und deren Wappen, die ja nicht zuletzt in der Herausgabe des zweibändigen Wappenbuchs des Westfälischen Adels mündeten, viel herumgekommen, hatte viele Kontakte. Und er hatte wohl solch ein Wesen, dass viele ihm vertrauten und er in manch einem Adels-Archiv stöbern konnte“, resümiert Dr. Ralf Oldenburg. Und so erscheinen in den Texten von Max von Spiessen viele Namen von Adeligen und anderen Personen, die es nachweislich auch gegeben hat, wie die Untersuchungen von Dr. Ralf Oldenburg auch ergeben haben. So ist etwa die Familie Diepenbrock Thema, die gemäß Max-von-Spiessen-Text vor der Familie Romberg auf dem damals noch Vorgängerbau des heutigen Schlosses Buldern gelebt hat. Warum das alte Schloss abgerissen wurde, warum die Familie Romberg die Bulderner Immobilie übernahm – das ist in der vierten Erzählung des Textkompendiums unter der Überschrift „Diepenbrocks Kinder“ zu lesen.
Aber auch beispielsweise der Dülmener Brennereiinhaber Thomas Göllmann findet sich in einer der Geschichten sowie andere Dülmener. Originale, Personen, die ganz außergewöhnliche Eigenschaften hatten und etwas Besonderes taten. Aber auch Verwandte von Max von Spiessen kommen in den Geschichten vor – und damit Vertreter des Adels. Max von Spiessen entstammte einer Baron-Familie.
„In manchen Schilderungen findet sich auch eine Art Sittengemälde“, sagt Herausgeber Dr. Ralf Oldenburg. „Wer darf mit wem tanzen, wie hat man sich zu verhalten, was schickt sich. Das kann man aus den Spiessen-Texten lesen – und wenn es manchmal nur am Rande ist.“
Namentlich genannte Personen, die real gelebt haben – und dann mitunter Geschichten, die einen Staunen machen: „Ich denke, wie einst Johann Wolfgang von Goethe hat Max von Spiessen ein wenig ,Dichtung und Wahrheit‘ geschrieben“, sagt Dr. Ralf Oldenburg, der sich wochenlang mit Max von Spiessen und seinen Texten auseinander gesetzt hat.
Begonnen hatte das vor 24 Jahren. Damals hatte Oldenburg beim Dülmener Professor Winfried Woesler an der Uni Osnabrück Editionswissenschaften studiert und abgeschlossen – zu guter Letzt mit einer Promotion über Wilhelm Waiblinger, Biograph des Literaten Friedrich Hölderlin. „,Es macht sich gut, wenn man als Editionswissenschaftler auch selbst etwas herausgegeben hat‘, so riet mit Professor Woesler damals“, so Ralf Oldenburg. „Im Stadtarchiv Dülmen, wo ich mal ein Praktikum gemacht hatte, hatte Archivleiter Dr. Friedrich-Wilhelm Hemann dann sofort Arbeit für mich: den literarischen Nachlass von Max von Spiessen.“
Drei Kästen voll Material – reichlich zu sichten. Und zu lesen. Wochenlang versenkte sich Ralf Oldenburg in die Texte, las sich in die deutsche Handschrift Spiessens ein und fand die Textsammlung mit der Spiessen-eigenen Überschrift „Schollinsen“ – ein Begriff, der kleine Dinge wie Murmeln und dergleichen zusammenfasst – Dinge, die man als Kind gern sammelt und mit anderen Kindern tauscht. Mit diesem Begriff, der – wie Max von Spiessen selber schrieb – schon zu seinen eigenen Erwachsenen-Zeiten kaum mehr Verwendung fand, bezeichnete der Autor seine Textsammlung. „Jetzt, für die Neuausgabe der Texte, haben der Verlag und ich uns dazu entschieden, als Haupttitel ,Das Efeublatt‘ zu nehmen. Dieser Begriff taucht in einem der Spiessen-Texte auf und kann auf Deutschland betrachtet besser verstanden werden“, so Dr. Ralf Oldenburg, der die Neuausgabe mit einer Biografie von Max von Spiessen angereichert hat. Und Dülmens Bürgermeister Carsten Hövekamp hat für die Neuausgabe ein Vorwort verfasst.
„Ich freu mich sehr darüber – denn Max von Spiessen hat mit seinen Texten auch ein literarisches Denkmal gesetzt für Dülmen, fürs Münsterland, für die münsterländisch-westfälische Bevölkerung früherer Zeiten, für seinen Berufsstand der Kavalerie und für Adelskreise, in denen sich Max von Spiessen bewegte.“