Dülmen. Abtreibungen sind weiterhin ein Tabuthema – nur selten wird offen darüber geredet. Das sollte sich ändern, findet Laura, die aus dem Kreis Coesfeld kommt. Vor zwei Jahren hatte sie selbst einen Schwangerschaftsabbruch, tauschte sich seitdem viel mit Betroffenen aus und erstellte die Webseite www.talk-abortion.de sowie die Instagram-Seite talk.abortion, auf denen sie viele Informationen zum Thema teilt. Im Interview mit DÜLMENplus-Mitarbeiterin Lena Riekhoff erzählt die 24-Jährige von ihrem Projekt und klärt über die aktuelle Lage in Deutschland auf.
Wieso hast du beschlossen, für das Thema Abtreibung aktiv zu werden und das Projekt „Talk Abortion“ zu starten?
Laura: Ich habe mich schon früher für feministische Themen interessiert. Nach meinem eigenen Abbruch ist das Interesse an dem Thema natürlich konkreter geworden. Nachdem ich mit mehreren Leuten darüber gesprochen habe, habe ich festgestellt, dass es bei den Betroffenen ein großes Bedürfnis nach Wissen und Austausch gibt. Ich möchte das Schweigen brechen und den Schwangerschaftsabbrüchen das Tabu nehmen.
Was hoffst du außerdem zu erreichen?
Laura: Dass eine schwangere Frau, die vor der schwierigen Entscheidung steht, eine Seite findet, die ihr zuverlässige Informationen bietet. Wenn man einfach googelt, landet man schnell auf Seiten von Abtreibungsgegnern, die Bilder und Informationen in das Internet stellen, die man in der Situation nicht gebrauchen kann. Wichtig sind hingegen präzise Informationen, auf die man sich verlassen kann. Als nächster Schritt in der Zukunft ist außerdem geplant, dass die Webseite zur Vernetzungsplattform wird, auf der man Erfahrungen austauschen kann, sowohl für Frauen, die bereits einen Schwangerschaftsabbruch hatten, als auch für diejenigen, die noch vor der Entscheidung stehen.
Was für ein Feedback hast du bisher bekommen?
Laura: Ich habe das Glück, dass mein Freundeskreis sehr offen ist und sowohl Freunde als auch Familie geschlossen hinter mir stehen. Trotzdem hat es sehr lange gedauert, bis ich offen aussprechen konnte, dass ich einen Abbruch hatte. Man macht sich natürlich schon Gedanken über die Reaktionen. Darüber hinaus habe ich für mein Projekt aber auch von außen viele positive Nachrichten bekommen, sowohl von anderen Betroffenen als auch von einer Schwangerschaftsberatung. Das bestärkt mich weiterzumachen.
In Deutschland sind Schwangerschaftsabbrüche immer noch im Gesetz im Paragraph 218 als illegal verankert und unter bestimmten Ausnahmen erlaubt. Was sollte sich da deiner Meinung nach ändern?
Laura: Das Wichtigste wäre, dass Abbrüche entkriminalisiert werden und der Paragraf 218 abgeschafft wird. Er sorgt lediglich dafür, dass eine schwierige Situation für die Betroffenen noch schwieriger wird. Von der Abschaffung ist Deutschland allerdings noch weit entfernt. Ich hoffe aber wenigstens, dass es den Paragrafen 219a, der das Werbeverbot für Abbrüche beinhaltet, bald nicht mehr geben wird. Zu Werbung zählt nämlich bereits, wenn Ärzte Informationen zu den Abtreibungsmethoden auf ihren Webseiten veröffentlichen. Dabei wäre gerade dieses Wissen von medizinischem Fachpersonal so wichtig.
In vielen anderen Ländern ist die Gesetzeslage da lockerer …
Laura: Nur weil der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen dort erleichtert ist, heißt das nicht, dass dadurch auch mehr durchgeführt werden. Frauen werden Abtreibungen nicht auf einmal wie eine Ersatz-Verhütung betrachten. Ein Beispiel dafür ist Kanada. Dort sind Abbrüche nicht nur legal, sondern auch deutlich länger als in Deutschland erlaubt. Trotzdem sind die Zahlen nicht höher, und fast alle Abbrüche finden in den ersten zwölf Wochen statt. Auch im europäischen Vergleich gehört Deutschland zu den Ländern mit den strengsten Gesetzen.
Bieten denn überhaupt viele deutsche Ärzte Schwangerschaftsabbrüche an?
Laura: In den letzten 13 Jahren ist die Zahl der Ärzte, die Abtreibungen durchführen, um 40 Prozent gesunken. Gerade im ländlichen Raum gibt es wenige – in Niederbayern kommt es vor, dass man 300 Kilometer fahren muss, um zum nächsten Arzt zu kommen. Viele der Ärzte sind außerdem schon älter und waren damals Teil der 68-Bewegung. Sie führen die Abtreibungen aus der Überzeugung durch, dass es wichtig ist, den Frauen eine sichere medizinische Versorgung zu geben, da ansonsten gefährliche illegale Eingriffe stattfinden können. Es rücken aber immer weniger Ärzte nach. Im Medizinstudium und selbst in der Gynäkologie-Facharztausbildung kommen Schwangerschaftsabbrüche nicht im Lehrplan vor. Das ist ein großes Problem, und so wird die Versorgungslage immer schlechter. Gruppen wie „Doctor’s for Choice Germany“ wollen erreichen, dass der Lehrplan im Medizinstudium verändert wird.
Was wissen viele Leute zu dem Thema Abtreibungen nicht?
Laura: Viele haben das Klischee des schwangeren Teenager-Mädchens, das nicht verhütet hat, im Kopf. Dabei ist knapp die Hälfte der Frauen, die einen Abbruch haben, zwischen 25 und 35 Jahre alt und 60 Prozent von ihnen haben sogar bereits ein Kind. Es sind also auch Menschen, die schon fest im Leben stehen. Außerdem gibt es immer wieder Gerüchte, dass Abtreibungen zu Unfruchtbarkeit und späteren Fehlgeburten führen. Dafür gibt es aber keine wissenschaftliche Grundlage. Vielen ist auch nicht klar, dass der Umgang mit dem Thema bei den Betroffenen sehr unterschiedlich ist. Manche sind anschließend sehr traurig, andere fühlen sich nicht emotional oder sind erleichtert. Alle Reaktionen sind okay.
Was hat dir damals vor deinem Abbruch geholfen?
Laura: In der Situation ist vor allem der Zugang zu Informationen und Menschen, die sagen ‚Es ist okay, das es passiert ist‘, wichtig. Man fühlt sich in dem Moment oft alleine und verschämt, deswegen würde es auch helfen, mit jemandem zu sprechen, der selbst schon einmal einen Abbruch hatte. Ich habe zum Beispiel mit einem Freund gesprochen, dessen Freundin eine Abtreibung hatte. Sich mit jemandem auszutauschen hilft sehr.