Buldern. Schulschluss, Tornister in die Ecke, PC an, Feierabend – was für manch einen Jugendlichen wie der perfekte Alltag klingt, lässt viele Eltern verzweifeln. Immer nur Zocken? So kann nie was aus den Kindern werden …
Alexander Leitsch aus Buldern beweist das Gegenteil: der 29-Jährige ist glücklich verheiratet, hat eine einjährige Tochter, lebt in einer hübschen Doppelhaushälfte, hat sein Leben im Griff – und spielt beruflich PC-Spiele. Zumindest manchmal, denn als Online-Redakteur für mein-mmo.de, einem der größten deutschen Onlineportale für Computerspiele, gehört einiges mehr dazu, als nur zu spielen. Aber aufs Gröbste reduziert, lebt er den Traum seines eigenen Teenager-Ichs, wie er lachend zugibt: „Ich spiele meist neue Online-Spiele, schreibe redaktionelle Beiträge darüber, stehe im Austausch mit unseren Lesern und verdiene so mein Geld. Hätte man mir diesen Posten als 13-Jähriger angeboten, hätte ich dafür vermutlich meine Seele verkauft.“
Doch wie zu erwarten, hat auch sein Job durchaus Schattenseiten. So gehört viel Organisation dazu, wie er berichtet: „Ich muss natürlich auch mit den Entwicklern solcher Spiele sprechen, ich muss mich mit meinen Kollegen abstimmen, ich koordiniere die Arbeit freier Autoren unserer Plattform und ich muss natürlich auch schreiben. Und das möglichst nah dran am Leser. Ein Selbstläufer ist das nicht.“
Und auch das Spielen selbst ist nicht immer nur purer Spaß – aber der gebürtige Gelsenkirchener weiß sich dann zu helfen: „Ich habe neulich beispielsweise einen Beitrag verfasst, für den ich eines der unbeliebtsten Spiele auf ,Steam‘ (eine Internet-Vertriebsplattform für Computerspiele) ausprobiert habe. Entsprechend nannte ich den Artikel auch ,Ich habe das MMORPG mit den schlechtesten Reviews auf Steam gespielt, damit ihr es nicht müsst‘. Man quält sich dann etwas durch die Spielwelt – aber mit der Absicht, gerade die Schwächen aufzuzeigen, hat es einen ganz eigenen Reiz.“ Seine fertigen Artikel bestehen keineswegs nur aus geschriebenen Worten – das Anfertigen von „Screenshots“, also aussagekräftige Momentaufnahmen von dem, was auf dem Bildschirm zu sehen ist, sorgen für die Visualisierung von Beiträgen, dazu kommen Video- und Tonbeiträge, bei denen der Leser (beziehungsweise Zuschauer) hautnah erleben kann, was der Redakteur beim Spielen erlebt hat.
Aber ein Schritt zurück: MMORPG? Wer in der Welt der Computerspiele mithalten möchte, wird immer wieder über Abkürzungen und Begriffe stolpern, die einem Nicht-Spieler fremd sind: „Ich bin zwar mit diesen Worten aufgewachsen, meine Aufgabe als Redakteur ist es aber, dass ich auch komplizierte Inhalte verständlich an die Leserschaft bringe.“ MMORPG müsste Leitsch seinen Lesern allerdings nicht erklären: Hierbei handelt es sich um „Massively Multiplayer Online Role-Playing Games“, also PC-Spiele, bei denen viele Spieler gleichzeitig in einer gemeinsamen Welt ein Rollenspiel spielen. Der berühmteste Vertreter dieses Genres ist „World of Warcraft“, wo Spieler in die Rolle eines Menschen, Elfen oder etwa Orks schlüpfen, um gemeinsam gegen Monster zu kämpfen.
Doch während „WoW“ bei vielen PC-Spielern Pflichtprogramm war, konnte Alexander Leitsch 2004, als das Spiel herauskam, nur etwas neidisch den Berichten seiner Freunde lauschen: „Ich war einfach noch zu jung! Meine Mutter war nicht bereit, die monatliche Gebühr für das Spiel zu zahlen, und ich musste mir andere Spiele suchen.“ Doch was ihn in der Vergangenheit manchmal in Gram versetzte, stellte sich rückblickend durchaus als Glücksfall heraus: „Weil ich nicht WoW spielen durfte, spielte ich stattdessen ,Guild Wars‘. Das ist ebenfalls ein Rollenspiel – nur etwas weniger comichaft. Es war ein Glücksfall, weil ich mich dadurch besonders auf das Nachfolgespiel ,Guild Wars 2‘ freute – und das war das Spiel, was mich schließlich dazu brachte, über Computerspiele zu schreiben. Erst für die Internetseite vanion.eu, dann auf einer eigenen Website zum Spiel, dann als freier Autor, dann irgendwann hauptberuflich …“
Der Weg zum Traumjob war lang und steinig
Doch auch, wenn er heute mit beiden Beinen auf dem Boden steht, war der Weg zum festangestellten Redakteur lang und steinig: „Als ich mit der Schule fertig war, schrieb ich mich für ein Studium der Wirtschaftsinformatik ein — ich war immer ganz gut in Mathematik und Informatik –, aber das war dann gar nicht meine Welt. Viel zu trocken alles. Danach entschied ich mich, in Bonn Technikjournalismus zu studieren.“ Doch auch hier folgte schnell die Ernüchterung: „Leider stand hier ,Technik‘ klar vor ,Journalismus‘, und es war viel zu häufig für mich Fachchinesisch aus der Welt des Ingenieurwesens. Das machte mir keinen Spaß.“ Er brach das Studium ab, doch Glück und Zufall spielten ihm etwas in die Karten: „Ich hatte ohnehin nebenbei eine ziemlich erfolgreiche Seite zu ,Guild Wars 2‘ auf die Beine gestellt, sie hieß GuildNews. Und darauf wurde eine noch größere Seite names vanion.eu aufmerksam und aus einer Kooperation wurde ein Zusammenschluss. Plötzlich habe ich hauptberuflich über mein Lieblingscomputerspiel geschrieben.“ Es folgten einige Zwischenschritte – bis im September 2018 der erste Artikel als freier Autor für den Branchen-Riesen mein.mmo.de folgte, wo er seit Oktober 2019 als festangestellter Redakteur aktiv ist. Eine geregelte 40-Stunden-Woche, fast komplett aus dem Home-Office.
Auf die Frage, ob er sich selbst als einen Nerd (modern für „Computerfreak“) halten würde, muss er schmunzeln: „Ein Nerd, der es nicht nach außen trägt. Ein echter Nerd, der die Klischees erfüllt, zieht die Vorhänge zu und will möglichst nichts mit der Welt da draußen zu tun haben. Ich bin aber ein sehr geselliger Mensch und mache sehr gern was mit Freunden und der Familie. Wenn ich allerdings jemanden treffe, mit dem ich fachsimpeln kann, kommen Außenstehende schnell nicht mehr mit.“ Ob das schon als Jugendlicher so war? „Ich war tatsächlich ein Teenager, der gerne ständig am PC spielen wollte. Einer meiner frühen, glücklichen Erinnerungen habe ich daran, dass ich immer zusammen mit meinem Vater an einer Tastatur ,Fifa 99‘ (ein Fußball-PC-Spiel) spielte. Und dann gab es eine Phase, wo ich eine PvP-Gruppe für ,Guild Wars‘ geleitet habe, also eine Turniergruppe, die sich gemeinsam Online mit anderen menschlichen Spielern gemessen hat. Dazu haben wir feste Trainingstage gehabt – und da war es dann auch egal, ob jemand Geburtstag hatte oder andere Termine anstanden. Training ging vor.“
Familienunterhaltung: „Drei, zwei, eins, jetzt!“
Glücklicherweise waren seine Eltern damals sehr tolerant, wie er stolz betont: „Ich durfte meistens meinem Hobby nachgehen. Auch, wenn sie es nicht immer ganz verstanden haben. Wenn wir zum ,PvP‘ angetreten sind, war es oft sehr wichtig, dass wir alle zugleich unsere Fähigkeiten im Spiel einsetzen. Und dazu mussten wir die Koordination perfektionieren. Und so kam es, dass meine Familie lachend vor meiner Tür stand und mich dabei beobachtete, wie ich immer wieder von Drei herunter zählte: Drei, zwei, eins, jetzt! Drei, zwei, eins, jetzt!´– Ich gebe zu, dass das schon sehr lustig ausgesehen haben muss.“
Um „etwas in der Hand zu haben, falls das mit dem Schreiben mal nicht mehr klappt“, hat Alexander Leitsch seine zweite Leidenschaft mit einem Schein untermauert: der 29-Jährige ist Tanzlehrer. „Ich habe zwei Hobbys, die auf den ersten Blick nicht besonders häufig in der Kombination vorkommen. Aber tatsächlich habe ich jahrelang mit meiner Frau Kathrin professionell getanzt und auch an Turnieren teilgenommen.“ Zwar ruht das Hobby aktuell, weil mit Tochter Finja eine kleine Person wichtiger ist als das Tanzen, aber: „Bald wollen wir damit wieder durchstarten!“
Nach Buldern ist die junge Familie übrigens eher durch Zufall gekommen: „Meine Frau und ich wollten eigentlich dort leben, wo man zwar noch das Gefühl hat, im Ruhrgebiet zu sein, aber es sollte auch viel Grün in der Nähe sein. Und so zogen wir nach Haltern am See. Leider meldeten die Vermieter dann Eigenbedarf an und wir mussten uns recht schnell nach etwas Neuem umsehen. Je weniger Zeit zur Verfügung stand, desto größer wurde der Suchradius. Und plötzlich standen wir in Buldern vor unserem jetzigen, wunderschönen Haus – und sind eingezogen. Meine Frau arbeitet nach der Elternzeit als Ärztin in Datteln – das ist von Buldern super zu erreichen. Und ich habe hier eine sehr gute Internetleitung und kann problemfrei meinem Job nachgehen. Zudem leben wir in einer total tollen Nachbarschaft – viele junge Familien und wir Väter gehen regelmäßig mal bowlen oder spielen Poker.“