Unterlagen des Dülmener Stadtarchives für alle Interessierten einsehbar
VON LENA RIEKHOFF
Dülmen. Im Keller einer Schule würde man Lagerräume vermuten, aussortierte Stühle, Tische und Schulbücher vielleicht. Anders sieht es im Untergeschoss der Hermann-Leeser-Schule aus, denn hier befindet sich das Stadtarchiv Dülmen und damit zahlreiche spannende Unterlagen, die für alle Interessierten zugänglich sind.
Vom Schulhof aus geht es eine Steintreppe nach unten und schon steht man im Lesesaal des Stadtarchivs. Dieser ist für die Öffentlichkeit zugänglich, zur Zeit aufgrund der Pandemie aber immer jeweils nur für einen Besucher oder Haushalt zur gleichen Zeit. Die Gründe, die Besucher in die Räumlichkeiten führen, sind ganz unterschiedlich. „Viele Studenten der Uni Münster kommen zur Recherche hierher, außerdem Schüler, die an ihren Facharbeiten schreiben oder Genealogen, also Ahnenforscher“, nennt Leiter Dr. Stefan Sudmann einige der Motivationen. „Manchmal ist es aber auch einfach das Interesse an einer speziellen Frage, wie beispielsweise wo ein Straßenname herkommt.“
Auch verschiedene Klassen der Dülmener Schulen kommen für bestimmte Projekte häufig ins Stadtarchiv – es gibt sogar eine Bildungspartnerschaft mit einigen Schulen. „Das ist der Aspekt, der uns während der Pandemie-Zeiten am meisten fehlt, denn es konnten leider keine Klassen mehr vorbei kommen“, bedauert Sudmann und hofft, dass sich dies mit dem neuen Schuljahr vielleicht wieder ändern wird. Denn die Unterlagen im Archiv sind nicht – anders als es Klischees manchmal suggerieren – dazu da, um in einer Schublade zu verstauben. „Wir bewahren die Unterlagen sicher auf für die Nachwelt, aber wir sind keine geschlossene Einrichtung. Die historische Bildungsarbeit ist wichtig für uns“, erläutert der Archivar.
Die meisten der Dokumente sind einsehbar. Einige Ausnahmen gibt es jedoch: Personengebundene Akten wie beispielsweise Personalakten sind erst zehn Jahre nach dem Tod der betreffenden Person zugänglich. Bestimmte Dokumente unterliegen außerdem einer besonderen Geheimhaltung, die erst nach 60 Jahren aufgehoben wird. „Bei uns sind das allerdings nur wenige Unterlagen, auf Bundesebene ist das natürlich häufiger der Fall“, erläutert der 47-Jährige.
Das Dülmener Leben widerspiegeln
Die Vielfalt und die zeitliche Spanne der Unterlagen ist enorm. Angefangen mit der Stadtrechtsurkunde von 1311 und anderen Urkunden aus dem Mittelalter über erste Akten und Rechnungsbücher aus dem 16. und 17. Jahrhundert bis hin zu einer dichteren Aktenüberlieferung ab dem 19. Jahrhundert. Die aktuellsten Akten stammen aus dem Anfang der 1990er Jahre, denn nur Unterlagen, die älter als 30 Jahre sind, dürfen in das Stadtarchiv und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Hinzukommen zahlreiche Dokumente von Vereinen, Firmen, Höfen, Familien und mehr, die einen Blick in die Dülmener Stadtgesellschaft bieten sollen. Dabei werden nicht nur Schriftstücke aufbewahrt, sondern auch Fotos, Plakate, Karten und Tageszeitungen. „Wir sind auch sehr interessiert an den Wahlkampfunterlagen bei der Kommunalwahl und fragen diese bei den Parteien bei jeder Wahl an, denn es ist spannend in der Zukunft zu schauen, wie früher eigentlich Wahlkampf betrieben wurde“, informiert Sudmann.
Doch wie gelangen die Unterlagen eigentlich ins Stadtarchiv? Als Teil der Stadtverwaltung kommen vor allem alte Akten, die nicht mehr benötigt werden, zu den Archivaren. Wenn die Frist von 30 Jahren noch nicht abgelaufen ist, die Akten aber dennoch nicht mehr von der Stadt benötigt werden, wandern sie zunächst ins Zwischenarchiv in der Overbergpassage. Die Aufgabe, Akten wegzuschmeißen, liegt ausschließlich beim Stadtarchiv. Selbst der Bürgermeister darf keine Akte aus seiner Schublade vernichten. „Wir entscheiden, was archivwürdig ist und filtern einen kleinen Prozentteil aus einem riesigen Wust an Akten heraus“, so Sudmann. „Unser Hauptgeschäft ist nicht das Aufheben, sondern das Wegwerfen.“ Die wichtigen Stücke zu finden ist die große Kunst und somit auch der Hauptfokus in der Ausbildung. Was ist selbst in tausenden Jahren noch wichtig? Das ist eine Frage, die sich die Archivare häufig stellen. Von vielen Unterlagen wird nur ein kleiner repräsentativer Teil aufbewahrt, beispielsweise bei Personalakten.
Neben der Auswahl ist natürlich auch wichtig, die kostbaren Unterlagen vor dem Zahn der Zeit zu schützen. Die ältesten und wertvollsten Dokumente werden extra im Tresorraum aufbewahrt. Für alle Unterlagen gilt aber, dass sie in spezielle entmetallisierten Archivmappen umgebettet werden und in Kartons gelagert werden. Luftentfeuchter sorgen für das passende Raumklima. Geschädigte Unterlagen werden in Restaurierungswerkstätten wieder in Form gebracht.
Digitale Archive stehen noch am Anfang
Die digitalen Archive stehen in Dülmen noch am Anfang. „Da die neuesten Dokumente aus den 90er-Jahren stammen, gibt es noch keine rein digitalen Unterlagen, das wird in der Zukunft aber der Fall sein. Dabei ist die Herausforderung, die Akten in der Form aufzubewahren, in der sie entstanden sind und sie vor Veränderungen zu schützen“, erläutert der Leiter. Einige der häufig genutzten analogen Unterlagen gibt es außerdem bereits in digitaler Form im Archiv wie beispielsweise die Tageszeitung oder Meldeunterlagen aus dem 19. Jahrhundert. Durch das Abrufen am Computer wird eine Beschädigung der Original-Unterlagen so verhindert.
Nicht nur das Archivieren der Unterlagen gehört zum Tagesablauf von Sudmann und seinem Kollegen Stefan Thodt-Werner, sondern immer wieder auch besondere Projekte. Zur Zeit wird zum Beispiel in Zusammenarbeit mit mehreren Partnern für eine Tagung zum jüdischen Leben im Kreis Coesfeld recherchiert. Auch an dem seit einiger Zeit laufenden Projekt zum Sondermunitionsdepot Visbeck unter anderem in Kooperation mit der Universität Münster wird weiter gearbeitet. Dabei stößt Sudmann immer wieder auf interessante unerwartete Dokumente. „Spannend finde ich zum Beispiel einen Schriftwechsel aus den 80er Jahren zwischen der Stadt Dülmen und der Bundeswehrfahrschule. Immer wieder gab es Beschwerden, dass die Fahrschulfahrzeuge der Bundeswehr zu früh unterwegs waren und dadurch die Schüler auf ihrem Schulweg störten. Das ist ein Blick in das Leben von damals. Kleine Probleme vor dem großen Thema des kalten Krieges.“
An ihr ungewöhnliche Domizil haben sich die Archivare längst gewöhnt. Schließlich ist das Stadtarchiv bereits seit 1919 in den Räumlichkeiten der Schule, die nach dem Ersten Weltkrieg gebaut wurde. Damals brachte der Heimatforscher August Hölscher seine Privatsammlung mit Einverständnis der Stadt Dülmen im Keller unter. Schnell zog auch das städtische Archiv dorthin, und Hölscher wurde mit der Verwaltung beauftragt. Immer wieder gab es im Laufe der Jahre Gespräche, ob ein Umzug stattfinden soll. Eine geeignete Räumlichkeit, die groß genug ist, gibt es bisher aber nicht. Schließlich sollten in einem solchen Fall alle drei Standorte des Standarchivs – das Hauptarchiv in der Hermann-Leeser-Schule, das Zwischenarchiv im Keller der Overbergpassage und das Außenmagazin im Keller der Alten Sparkasse – vereint werden.
Dr. Stefan Sudan hält die gegenwärtige Situation aber für kein großes Problem: „So kommen wir auch mal raus an die frische Luft, wenn wir zwischen den Standorten wechseln.“ Die enge Zusammenarbeit mit der Hermann-Leeser-Schule sei außerdem schön und im Lesesaal sei auch genügend Platz für Besucher. Denn schließlich sei für das Stadtarchiv vor allem wichtig, nicht abgeschottet zu sein. Stattdessen soll es ein Ort für alle Interessierten der Dülmener Geschichte sein und bleiben.
Zum Thema:
Der Besuch des Stadtarchivs ist zu den Öffnungszeiten montags bis mittwochs von 8.30 bis 12.30 sowie 13.30 bis 16 Uhr, donnerstags von 8.30 bis 12.30 Uhr sowie 13.30 bis 18 Uhr und freitags von 8.30 bis 12.30 Uhr möglich. Aufgrund der Corona-Pandemie ist eine Voranmeldung unter Tel. (02594) 12416 oder per E-Mail an stadtarchiv@
duelmen.de notwendig. Bei dieser Anmeldung sollte auch schon das gewünschte Dokument genannt werden, damit die Archivare dieses im Vorfeld bereits an den Hauptstandort bringen können.