Dülmen / Reykjavík. Schon sehr lange war Elena Richert aus Dülmen fasziniert von Island – dem Land der Naturwunder. Etwa 130 aktive Vulkane, drei Nationalparks, imposante Gletscher, gewaltige Natur. Dass sie allerdings selber einmal dort leben würde, hätte sie sich so nicht ausgemalt …
Aber von vorne: Eigentlich studiert die 26-jährige Elena „Neuro-Cognitive Psychology“ in Oldenburg. Doch während sie 2018 ohne großes Ziel durch die Weiten des Internets surfte, stolperte sie über einen Artikel einer seltsamen Forschungsgruppe, die sich mit Zebrafischen beschäftigt. „Keine Ahnung warum, aber ich las den Text“, blickt sie amüsiert zurück. „Und während des Lesens stutzte ich: Es ging um Psychologie. Zebrafische. In Reykjavík. Das war so verrückt. Ich bewarb mich einfach mal!“ Aber: Nichts. Elena Richert wartete vergeblich, widmete sich wieder ihrem Alltag und dachte nicht oft an Zebrafische. Bis 2019: „Aus Neugierde schaute ich nochmal auf die Seite und habe erneut eine E-Mail geschrieben, abgewartet – wieder nichts.“ Doch diesmal ließ sie nicht locker: „Ich packte den Telefonhörer, wurde mit dem Supervisor verbunden, stellte mich kurz vor, fragte nach einer Stelle – und der sagte einfach: ,Okay!‘. Ich war völlig aus dem Häuschen!“
Nur wenige Wochen später setzte sich die naturbegeisterte Dülmenerin in Köln in den Flieger, um ihr dreimonatiges Praktikum zu beginnen. Einen Tag, den sie so schnell nicht vergisst: „Es war ein Flug am späten Abend Ende Juni. Die Sonne war bereits untergegangen, als das Flugzeug abhob. Doch je näher ich meinem Ziel kam, desto heller wurde es. Bei meiner Landung in Reykjavík war es etwa Mitternacht. Und noch hell. Verrückt. Aber hier war ich nun. Ich war aufgeregt, aber sehr glücklich. Die Sterne habe ich übrigens erst im August wieder gesehen.“
Am nächsten Tag begann sie dann an der Reykjavik University mit einer eigenen kleinen Parkinson-Forschungsreihe. Der Einfluss eines bestimmten Medikaments auf das Verhalten der besagten Zebrafische. „Ich hätte nicht erwartet, dass es so spannend wird.“ Doch natürlich war das Praktikum nicht der einzige Grund für Elena Richert, das Land im hohen Norden zu besuchen: „In meiner ersten freien Minute startete ich mit meiner ersten Erkundungstour. Reykjavík selbst verbreitet eher Mittelstadtflair, aber die Menschen sind fast alle sehr offen und freundlich. Ich fühlte mich gut aufgenommen. Und dann ist da noch die Natur – unbeschreiblich, gewaltig. Das Meer, die Felsen, Wasserfälle, Gletscher, Hot Tubs – also heiße Naturpools. Es war, wie ich es mir vorgestellt habe.“
Doch kaum hatte das Praktikum begonnen, war es für Elena Richert auch gefühlt schon wieder beendet. „Viel zu schnell! Island hatte mich noch nicht losgelassen. Also fragte ich, ob ich nicht meine Masterarbeit dort verfassen könne. Ich bekam die Zusage, musste aber erst zurück nach Deutschland, um dann im März 2020 wieder zurückzukehren.“
Und plötzlich war da eine Pandemie
Aber – wir erinnern uns – im März 2020 kam alles anders. Die erste große Welle der Pandemie rollte über die Welt und begrub damit auch Richerts Pläne. „Meine Reise nach Island war nur ein nebensächliches Problem, aber enttäuscht war ich natürlich dennoch. Ich rief meinen Supervisor an, der sagte: ,Vielleicht nächste Woche‘. Naja – aus einer Woche wurden drei Monate. Seit Ende Juni 2020 bin ich aber nun wieder in Island.“
Seitdem hatte sie viel Zeit, auch entlegene Ecken der 103.125 Quadratkilometer großen Insel zu entdecken. An ihrer Seite entweder ihr Freund Max Vorbeck, der aktuell in Chemnitz lebt und sie so oft wie möglich besucht („Er freut sich über die Chance, die sich mir hier bietet, und wir machen das Beste aus der aktuellen Distanz“) oder ihre neu gewonnene Freundin Julia Haidn. „Julia habe ich hier Reykjavík kennengelernt. Sie kommt aus Bayern und ist ursprünglich durch ein Erasmus-Programm hier oben gelandet. Mittlerweile arbeitet sie als Data Scientist bei Icelandair. Wir machen sehr viel zusammen.“
Zu den vielen ganz einzigartigen Eindrücken, die Elena Richert allein durch die weiten Fjorde, die unzähligen Wasserfälle und die vielseitigen Strände gewonnen hat, gesellte sich im Frühjahr 2021 ein noch viel großartiges Ereignis, als der Vulkan Fagradalsfjall, der nur knapp 30 Kilometer von der Hauptstadt entfernt liegt, erstmals seit fast 800 Jahren Asche und Lava spuckte. Alles deutete sich schon Wochen im Vorfeld an, wie sich die Studentin erinnert: „Es begann mit kleinen Erdstößen. Bei meinem ersten richtigen Erdbeben war ich total erschrocken.“ Doch es folgten viele weitere Beben: „Ich bin immer noch regelmäßig aufgeschreckt, aber ein wenig gewöhnt man sich daran. Es ist allerdings sehr lästig, wenn man dadurch nachts aus dem Schlaf gerissen wird.“
Am 19. März, Elena und ihre Freundin Julia lagen gerade in einem der zahlreichen „echten“ Pools („es gibt so irre viele Swimmingpools in Island“), als plötzlich ein wahnsinnig lauter Knall die Nacht erschütterte: „Es war etwa zwanzig vor zehn Uhr abends, wir haben es uns im Pool gutgehen lassen – und dann war da nur noch Krach. Natürlich war das ein seltsames Gefühl, und wir mussten abwarten, bis die Behörden Entwarnung gaben. Doch das Risiko wurde recht schnell als gering eingestuft und seitdem erlebten wir eines der unglaublichsten Naturschauspiele praktisch vor der Haustür.“
Das Leben mit der Pandemie sei auf der abgeschiedenen Insel sehr viel leichter, berichtet Elena Richert: „Klar, hier gab es auch schon Lockdowns – der längste dauerte dreieinhalb Monate, aber da hier sehr viel weniger Menschen leben – Island hat mit etwa 357.000 nur ein paar tausend Einwohner mehr als Münster – ist die Krankheit leichter im Griff zu behalten. Wir müssen auch Masken tragen, und auch die Gastronomie musste immer wieder schließen, aber damit lässt sich hier leben.“
Eine Welt, bestehend aus Felsen, Moos und Meer
Auf die größten Unterschiede zwischen Island und Deutschland angesprochen, kommt ihre Antwort ohne zu überlegen: „Es gibt hier sooo wenig Bäume! Einige Parks in der Stadt, aber ansonsten besteht die Welt nur aus Felsen, Moos und Meer. Es ist wunderschön, aber wenn man mich fragen würde, was mir hier fehlt, dann Bäume. Außerdem ist in Island vieles teurer, was daran liegt, dass hier außer heimischem Gemüse und Fisch nahezu alles importiert werden muss. In den Supermärkten gibt es beispielsweise auch viel deutsche Süßwaren. Der dritte große Unterschied ist, dass hier irgendwie fast niemand mit dem Fahrrad fährt. Und Züge gibt es auch nicht. Entweder man reist mit dem Auto – oder man läuft.“
Wenn man seinen Alltag in Island erlebt, gibt es nicht nur Licht – sondern im wahrsten Sinne des Wortes auch durchaus Schatten, wie Elena Richert zugibt: „Im Winter scheint hier die Sonne nur sehr, sehr wenig. Sie geht mitunter erst um 11.30 Uhr auf und verschwindet dann gegen 15 Uhr schon wieder am Horizont. Ist es dann auch noch bewölkt, bleibt es gefühlt immer dunkel. Als ich im Winter intensiv an meinem Forschungsprojekt gearbeitet habe, kam es vor, dass ich die Sonne vier Tage lang nicht gesehen habe. Das kann einen schon runterziehen.“ Doch glücklicherweise hat die Dunkelheit im hohen Norden auch Vorteile: „So viele Nordlichter! Das ist wirklich wahnsinnig schön – und ich konnte es so oft beobachten. So etwas vergisst man nie wieder.“
Ebenfalls eine Umstellung für Richert waren die Temperaturen: „Hier oben im Norden ist es natürlich viel kälter. Wenn die Sonne im Sommer länger scheint, kann man sich durchaus im T-Shirt rauswagen, aber kurze Hosen tragen eher die Einheimischen. Und das auch durchaus mal, wenn noch Schnee liegt.“
Ihr Lieblingsort in Island? „Island! Es gibt hier so viele wahnsinnig schöne Flecken. Aber es macht schon einen Unterschied, wo auf der Insel man sich gerade aufhält. Im Süden fährt man gefühlt nur eine Kurve weiter und erlebt das nächste kleine Highlight, am Westfjord sucht man hingegen etwas länger, wird dann aber beispielsweise durch einen riesigen Wasserfall überrascht. Dazu kommt, dass selbst in Reykjavík und um die Stadt herum jeden Tag alles etwas anders aussieht – nur, weil das Licht gerade anders auf die Szenerie fällt.“
Kontakt zu ihrer Familie hat sie regelmäßig über den PC und das Telefon, vermisst sie aber dennoch sehr: „Das ist auch ein großer Haken, aber zu Weihnachten war ich länger zu Hause und auch meine Geschwister, die nicht mehr in Dülmen wohnen, waren vor Ort. Island ist wahnsinnig schön und ich genieße meine Zeit hier in vollen Zügen – aber Dülmen, meine Familie, meinen Freund und meine weiteren Freunde vermisse ich natürlich alle sehr.“ Was die Zukunft für Elena Richert noch mit sich bringt? „Erstmal meine Masterarbeit fertigstellen! Bis es soweit ist, genieße ich jeden Tag, den ich auf Island verbringen darf!“