Dülmen. Vorsichtig übermalt Sabine Giese das Flammenmuster auf der Jacke der Puppe mit schwarzer Farbe. Gefunden hat sie die Puppe, die für manche vielleicht als Sammlerstück gelten würde, in einem Antiquitätengeschäft. Später wird diese einmal auf einer alten Vase landen, die an einer Stelle einen Bruch hat. Gerade diesen Fehler, der das Objekt für normale Käufer vermutlich unattraktiv machen würde, findet die Künstlerin spannend: „Das gibt mir viel mehr Möglichkeiten mit dem Gegenstand zu arbeiten.“ Wie die Upcycling-Skulptur am Ende aussehen soll, steht noch nicht komplett fest. Manchmal verändern sich ihre Vorstellungen während der Arbeit.
Nicht nur eine, sondern gleich mehrere Skulpturen befinden sich in der Werkstatt auf dem Dachboden der Dülmenerin in Bearbeitung. „Manchmal kann es auch ein halbes Jahr dauern, bis ich eine beende, weil das entscheidende Teil fehlt.“ Denn auf die richtige Mischung der Gegenstände legt Sabine Giese wert. Sie hat einen großen Fundus, an dem sie sich immer wieder bedient. Hinzu kommen Objekte, die sie in Geschäften oder auf Märkten findet. Praktischer Anlaufort ist für sie dabei immer das Antiquitätengeschäft ihrer Mutter. Eines haben fast alle Gegenstände gemeinsam: Sie sind gebraucht. Die Künstlerin möchte damit ein Zeichen gegen die Wegwerf-Mentalität setzen und veröffentlicht auf ihrer Homepage www.upcyclingskulptur.de auch Anleitungen, wie man selbst aus alten Gegenständen neue Objekte bauen kann, beispielsweise ein Couchtisch aus einem Koffer.
Handwerkliches Geschick bei der Umsetzung
Die Ideen für die Skulpturen entstehen oft, wenn Sabine Giese einen interessanten Gegenstand in der Hand hält. Manchmal hingegen kommt die Idee schon im Vorfeld und sie geht dann auf die Jagd nach den richtigen Objekten dafür. Bevor es an die Zusammensetzung geht, werden die Gegenstände erst einmal in ihre Einzelteile zerlegt. Denn ein komplettes Objekt, so wie es in seiner Originalform ist, zu verwenden, findet die Künstlerin langweilig. Seien es Zahnräder aus Uhren oder Festplattenteile aus Computern – in Sabine Gieses geschickten Händen bekommen die Teile neues Leben eingehaucht.
Gerade wenn etwas nicht zusammenpasst weckt es die Neugier der Künstlerin, so kann ein Holzbein auch durchaus an einem Laptop landen. Die Größe variiert mit Werken zwischen 25 Zentimetern bis 1,50 Meter ebenfalls stark. Nicht immer funktioniert die Anfertigung aber so wie gedacht. Einige Objekte gehen zu Bruch, andere lassen sich nur schwer aneinander kleben oder schrauben. Einen Vorteil hat sie jedoch in petto: Dadurch, dass Giese gelernte Tischlerin ist, bringt sie das nötige handwerkliche Know-How für ihre Skulpturen mit.
Thematisch ist die Künstlerin in ihren Werken vielfältig, wichtig ist nur, dass ihre Skulpturen auch eine Aussage besitzen: „Ich greife verschiedene Sachen auf, die mich beschäftigen – sei es Krankheit, Corona, die Umwelt oder was sonst in der Weltgeschichte los ist.“ Einfach nur schöne Dekorationen für das Wohnzimmer herzustellen, darauf habe sie keine Lust, es solle mit ihrer Kunst auch etwas rübergebracht werden. „Derjenige, der vor meinen Skulpturen steht, kann auch durchaus etwas anderes denken. Selbst, wenn nur einer von 50 Leuten die gleiche Aussage sieht, wie ich, freue ich mich. Auch negative Reaktionen finde ich gut, solange man sich überhaupt mit der Kunst befasst.“
Zur Zeit startet die Dülmenerin unter anderem eine Serie zum Thema Familie, bei der jede Skulptur – genauso wie jede Familie – anders aussehen soll. Eine besondere Herausforderung stellte sich Sabine Giese im vergangenen Jahr mit ihrer Reihe „Leben auf Probe“, die sich inhaltlich mit der Genesung von einer langwierigen Krankheit, die sie durchmachte, beschäftigt. „Ich wollte ab meinem 50. Geburtstag 50 Skulpturen bis zu meinem nächsten Geburtstag anfertigen. Das war definitiv eine Herausforderung, denn vor allem zum Jahresende hin sind mir irgendwann die Materialien ausgegangen“, sagt Sabine Giese. Normalerweise fertigt die Künstlerin ungefähr zehn Werke pro Jahr an, schaffte es aber dennoch, ihre Challenge einzuhalten.
Aktuell stellt die 51-Jährige einige ihrer Skulpturen noch bis Ende des Jahres in der non-profit Upcycling Galerie Wallerie in Bremen, die sich auf Upcycling-Kunst spezialisiert hat, aus. „Das wäre ein Traum, wenn es eine solche Upcycling-Galerie, an der mehrere Künstler beteiligt sind, irgendwann auch einmal in Dülmen geben würde, gerade weil die Wiederverwertung von alten Gegenständen mit der Fridays-For-Future-Bewegung ja auch total modern ist“, so Giese. Ihre erste Skulptur-Ausstellung hatte sie 2018 in Dülmen bei Lores Artbox und auch bei der Dülmener Kulturnacht stellte sie bereits aus.
Einen Wunsch für eine zukünftige Ausstellung hat die Dülmenerin auch: „Ich würde gerne einmal zusammen mit meiner Mutter Eva Müller, die Gedichte schreibt, ausstellen. Eine Kombination aus zueinander passenden Skulpturen und Gedichten finde ich sehr interessant.“ Bei zwei Werken hat das Mutter-Tochter-Duo bereits zusammengearbeitet. Bei der Skulptur „Symbiose“ verfasste Eva Müller das dazu passende Gedicht „Werkstück“, ein anderes Mal war es genau umgekehrt und zu einem bereits bestehenden Gedicht entstand eine Skulptur.
Malerei bot zu wenig Möglichkeiten
Ursprünglich kommt Sabine Giese von der Malerei, eine Rückkehr dahin hält sie jedoch für unwahrscheinlich. Als Kind malte sie bereits gerne und nahm diese Vorliebe auch in das Erwachsenenleben mit. „Irgendwann wurde mir das Zweidimensionale aber einfach zu langweilig. Beim Malen war ich sehr pingelig und wollte alles so genau wie möglich abbilden“, schmunzelt sie. Nach und nach wechselte sie immer mehr ins Abstrakte, versuchte auf den Leinwänden mit verschiedenen Schichten und Materialien Tiefendimensionen zu erzeugen – bis ihr auch das nicht mehr reichte.
Der Grundanstoß für die Skulpturen kam dann in einer Münsteraner Galerie, wo Werke aus alten Blechdosen ausgestellt waren. „Mir war zwar klar, dass das Material nicht das richtige für mich war, aber die Idee, etwas aus alten Gegenständen herzustellen, gefiel mir“, so Giese. Das war 2016 und immer noch ist die 51-Jährige mit Freude am Werkeln. Mittlerweile setzt sie ihre Mal- und Zeichenfähigkeiten nur noch beim Bau der Upcycling-Skulpturen um, sei es um Objekte zu bemalen oder Skizzen im Vorfeld anzufertigen. „Die Malerei ist viel starrer. Bei den Skulpturen entsteht stets etwas Neues und im Laufe der Jahre sind sie immer verrückter geworden“, lacht die Dülmenerin. „Außerdem sind sie alle Unikate, keines der Werke lässt sich jemals genau in der gleichen Form nachbauen und das würde ich auch nicht wollen.“