Dülmen. „Ich hätte niemals damit gerechnet, dass es so schnell gehen wird“: Kaum das Abi am Clemens-Brentano-Gymnasium in der Tasche, ist die 19-jährige Dülmenerin Fabienne David heute als Lifeguard (einem deutschen Rettungsschwimmer sehr ähnlich) im amerikanischen „Camp Coleman“, einer Freizeitanlage in der Nähe von Atlanta im US-Bundesstaat Georgia unterwegs.
Aber von vorn: Eigentlich wollte Fabienne studieren. Aber was? Sportmedizin, „Business Management“ oder doch forensische Chemie? Ihre Interessen: weit gefächert. Eine Entscheidung? Schwer. Auch eine Ausbildung beim Bundeskriminalamt zog die junge Gymnasialabsolventin in Betracht – hat sogar bereits die ersten Aufnahmeprüfungen bestanden.
„Gerade nach der Schulzeit habe ich mich oft verloren gefühlt“, erklärt Fabienne. „Ich wusste nicht, wie es nach dem Abi für mich weiter gehen sollte. Es gibt so viele spannende Themen und ich konnte mich nicht entscheiden.“ Um für Klarheit zu sorgen, erkundigte sie sich im Internet, welche Möglichkeiten es gibt. Für sie war eins klar: „Raus von zu Hause und die Welt sehen.“ Reisen habe sie schon immer begeistert und auch Fernweh verspüre sie oft. „Ich wollte schon immer mal Amerika sehen und dort die Kultur kennenlernen, aber keiner meiner Freunde wollte mit.“
Mit wenigen Mausklicken nach Amerika
Schon wenige Klicks im Internet reichten, um einen möglichen Weg zu finden: Work and Travel. Das Land kennenlernen und gleichzeitig Geld verdienen. Doch die Sache hatte Haken: Für eine Bewerbung war die 19-Jährige recht spät dran, das Anschreiben also sehr spontan. Und: „Ich wusste, wenn ich in die USA fliege, bin ich raus aus dem Auswahlverfahren beim BKA.“ Aber die Entscheidung war gefasst: Fabienne schickte eine Bewerbung an das Work-and-Travel-Portal „campleaders.com“ und hoffte auf eine positive Rückmeldung.
Diese kam: Nur zwei Monate später saß sie bereits im Flugzeug nach Amerika. „Ich bekam eine Anstellung beim Camp Coleman und war super happy!“ Das Camp Coleman ist ein jüdisches Freizeitcamp, in dem Teilnehmende aller Religionen willkommen sind und verschiedenen Freizeitaktivitäten, beispielsweise das Schwimmen in einem See, nachgehen können. Ein Arbeitsplatz also, bei dem andere ihre Freizeit erleben.
„Ich habe alles gegeben, um mein Ziel, Amerika, zu erreichen. Und das mit Erfolg!“, freut sie sich heute. Seit Mitte Mai befindet sich Fabienne im Camp. Die Flugtickets musste sie sich selbst organisieren. „Die ersten Tage in Amerika waren schwer. Gerade der Jetlag machte mir zu schaffen. Der Ort, an dem ich mich hier aufhalte, hat sieben Stunden Zeitunterschied zu Deutschland.“ Nach einer Woche habe sie sich aber daran gewöhnt: „Bis dahin war ich echt müde. Nun ist aber alles super!“
In Amerika begann Fabienne direkt ihre Ausbildung zum Lifeguard. Ihre Aufgaben sind das Retten von gefährdeten Personen aus dem Wasser, die Aufrechterhaltung der Ordnung im Camp und das Versorgen der Badegäste bei Quallenstichen und anderen Wehwehchen. Um an der Ausbildung zum Lifeguard teilnehmen zu können, musste die Dülmenerin ihre körperliche Fitness unter Beweis stellen. „Ich musste 22 Bahnen im Wasser schwimmen, dann startete meine zweiwöchige Ausbildung.“ In dieser musste sie verschiedene Übungen absolvieren. Unter anderem Gewichte aus dem Wasser bergen, Rettungsmanöver unter und über Wasser. Parallel dazu gab es viele Erklärungsstunden mit Videobeispielen. Dies alles war zu meistern, bevor sie überhaupt zu dem Abschlussexamen zugelassen wurde. Bei diesem musste sie einen 90-seitigen Test bestehen. Diesen bestand sie mit Bravour.
Ein Tag im Leben einer Campleiterin
Ihre Tage im Camp beginnen in der Regel morgens um 7 Uhr. Seit einigen Wochen ist das auch schon stressig, da ein Mitbewohner den Wecker nicht ausmacht und dieser dann 30 Minuten durchklingelt. Anschließend zum Frühstück mit den Kindern des Camps. Denn auch das gehört zu ihren Aufgaben. Die Betreuung und Verantwortung über die Kinder. Anschließend geht es mit ihrem normalen Tagesprogramm weiter. Dieses besteht daraus, als Lifeguard an Pools oder Seen zu wachen und aufzupassen, dass kein Unglück geschieht. Meist sind über 60 Kinder gleichzeitig im Wasser. Die Kinder sind im Alter zwischen sieben und 15 Jahren. Insgesamt können sich bis zu 700 Kinder im Camp aufhalten. „Das ist ein Fulltimejob. Es ist super anstrengend und ich bekomme echt wenig Schlaf. Aber es macht riesigen Spaß.“ Für ihren Job wird sie auch bezahlt. Zwar nie viel, aber es reicht für kleine Annehmlichkeiten.
„Die Atmosphäre im Camp ist sehr angenehm. Jeder ist willkommen, und wir werden so akzeptiert, wie wir sind. Als Deutsche wurde ich direkt schon am ersten Tag von den Kindern gefragt, ob ich ihnen nicht deutsche Wörter beibringen kann.“ Obwohl das Camp jüdische Wurzeln hat und auch unter jüdischer Schirmherrschaft steht, ist es kein Problem, dass Fabienne David nicht jüdisch ist. „Aber das macht keine Schwierigkeiten. Es ist ein sehr reformiertes Camp. Es wird nicht gebetet, aber dafür viel gesungen. Alle sind sehr tolerant. Auch die Kinder sind nicht alle jüdisch.“ Untergebracht ist sie mit anderen Campleitern in einer kleinen Wohnung. Zwar wenig luxuriös, aber dafür mit Klimaanlage. Und gerade diese braucht sie auch bei den sommerlichen Temperaturen, die im Bundesstaat Georgia vorherrschen. Die Temperaturen liegen weit über 35 Grad. Darauf folgen meistens kurze Hitzegewitter.
Ein besonderes Highlight sind ihre „Day-Off-Tage“. Tage, an denen sie ihre Freizeit in vollen Zügen genießen kann. Mit ihren Freunden in die Stadt fahren, zum Restaurant oder das Nachtleben genießen. Ein sehr seltener Luxus, der ihr nur alle zwei Wochen zu Verfügung steht. Aber auch dabei gelten die Campregeln (und Gesetze). Kein Rauchen, kein Alkohol. In Amerika ist beides erst mit 21 erlaubt.
Die Zeit in den Vereinigten Staaten und die Verantwortung, die sie im Rahmen ihrer Arbeit trägt, helfen ihr für ihre spätere Jobentscheidung eindeutig weiter, wie sie betont: „Hier kann ich wichtige Erfahrungen sammeln und neue Eindrücke gewinnen. Und ganz nebenbei lerne ich neue Kulturen kennen – und mein Englisch verbessert sich.“ Wie es für sie nach dem Aufenthalt im Camp, in dem sie noch bis zum 6. August aktiv ist, weitergeht, weiß sie noch nicht. „Das entscheide ich sehr spontan. Vermutlich werde ich mit meinen Freuden, die ich hier kennengelernt habe, ein ,Airbnb‘ (eine Ferienwohnung) mieten und mit dem Auto weiterfahren. Möglich wäre aber auch ein Flug zur Westküste. Aber das wird sich noch alles zeigen.“